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Geliebter Kleingarten... oder: Einfalt - Vielfalt


September 2002,
zuletzt bearbeitet am 29.11.2003

Herr Plump ging in seinen kleinen Schrebergarten. Und mußte warten. Ja, worauf? - Auf Taten.
Gelangweilt saß der Mann mit dem bulligen Gesicht und den Hängebacken wie eine wachsame Bulldogge auf seiner Terrasse vor der steinernen, einfachen Laube und schaut über seine dicke Knollennase - nicht in sein grünes Reich, sondern in ein Buch. Er ist fast so breit wie groß und kugelrund. Er thronte auf einem gediegenen Holzstuhl ohne Armlehne. So konnte er bequem?... sitzen. - Sitzt jemand bequem auf einem Stuhl, wenn er eigentlich zwei Sitzflächen benötigt? -
Gerade aufgeschlagen, legte er das Buch wieder aus der Hand. Er stand auf und schaukelte wie ein wabbelndes Schiff durch das glatte, ruhige Grün seines Garten. Sein Kurs war geradezu das Gartentor. Er schaute den öffentlichen Weg vor seinem Pachtgrundstück auf und ab. Kam niemand Bekanntes, ein Gartenfreund, mit dem man ein Schwätzchen halten könnte?
Sie waren seine liebsten Gesprächspartner. Hier wußte er sich in bester Gesellschaft. Alle, ja, alle! dachten so wie er, wobei er die Mehrzahl der Gartenfreunde im Blick hatte. Wie eine Kamera nur das im Bild einfängt, worauf sie fokussiert wurde, lagen auch seine Gedanken in Bildbreite. Andere Menschen wandelten außerhalb seines Horizontes.
Er horchte fernerhin nicht auf andere Strömungen. Er pochte auf die Richtung, die ihm vertraut war.
Er war das Zentrum einer lähmenden Atmosphäre. Er wickelte die Menschen ein und hängte sie an sein Netz wie eine Spinne, die eine Beute gefangen hatte. Wenn er sein intrigantes Gift verspritzte, paralysierte er seine Freunde wie mit dem Gift einer Vogelspinne und machte sie denkunfähig.
Herr Plump hatte Pech. Kein Bekannter in Sicht. Daher setzte er sich wieder auf seinen bequem-unbequemen Stuhl auf der Terrasse.
Sein Garten bestand aus einem großen, englischen Rasen, umrandet von einer kaum einsehbaren Schneebeerenhecke.
Ein schnurgerader Weg führte vom Gartentor zur Laube, eingesäumt von zwei schmalen, abgezirkelt-rechteckigen Beetflächen. In diesen wuchs auf der einen Seite ein rosa blühender Phlox, auf der anderen Seite prunkten im Sommer einige prächtige Gladiolen. Wehe, wenn sich ein Hälmchen wagte, aus dem Boden zu lugen. Dann zeigte ihm Herr Plump, wer hier in diesem Garten die Macht hat. In seinem Landstück war er König, nein Kaiser - nein - sogar der liebe Gott. ER bestimmte, was am Leben blieb oder was er vernichtete. In dieser Hinsicht ließ er nicht mit sich spaßen. Rigoros packte er jedes vorwitzige Babykeimblatt an den Ohren und zog es unbarmherzig heraus. Oder hackte es ab. Groß werden sollte dieser unbekannte Keimling-Eindringling bei ihm nicht.
Wundervoll übersichtlich war sein Garten. Das war für ihn der Maßstab aller Dinge.
Das überschaubare machte die Sache überschaubar, bot Bequemlichkeit und Schutz. Schutz vor dem Unüberschaubaren, was die Grenzen des Erfaßbaren sprengt, was in dem Nicht-Erkennbaren der düsteren Phantasie Tür und Tor öffnet. Schreckliche Dämone, gefährliche Untiere könnten sich dort einnisten.
Herr Plump hatte feste Ansichten: Ein Garten hat so oder so ähnlich wie seiner auszusehen. Daran wird das Aussehen der übrigen Parzellen gemessen. Was dem nicht ähnelte, gehörte gemordet. Seine Toleranzbreite tendierte gegen Null wie bei technischen Normwerten. Seine unwissende Seele war Vorurteilen verhaftet.
Eine ganz einfache Gleichung machte der sich stinknormal fühlende Herr Plump auf: Ein Gleicher unter Gleichen hat sich gleich den anderen zu verhalten. Wer nicht prominent ist, sondern Gleicher unter Gleichen, hatte nicht das Recht, sich anders zu verhalten als die Masse. Abweichendes Verhalten kreidete der Gartenfreund dem Dreisten böse an.
Herr Plump hatte ein Problem. Das bestand in seiner Gartennachbarin Frau Laub. Die konnte er auf den Tod nicht riechen. Die haßte er bis aufs Blut. "Zur Hölle mit ihr," dachte Herr Plump. Sie war der Stachel in seiner kleinen-großen, großen-kleinen Gartenseele. Am liebsten würde er diese Frau umbringen.
Deren Garten erlaubte keinen Durchblick. Das wirkte auf ihn bedrohlich. Dort wuchs alles wie Kraut und Rüben. Und so gigantisch hoch, daß jedermann, selbst ein Hüne, zu den Pflanzen aufschauen mußte, anstatt auf ihre Köpfe herabzublicken. Dieses Landstück war schrecklich naturnah. Eine Strafe, diese Parzelle neben sich zu haben.
Daß es hier zwitscherte und tirilierte, dafür blieb sein Gehirn taub. Ignoranz und Arroganz statt Toleranz und Klugheit schrieb Herr Plump groß. Dem Schwächeren, der vermutlich nicht zurückschlägt, wird gezeigt, was eine Harke ist. Der hat tolerant zu sein. Dabei trug Herr Plump - in seinen Augen - einen Heiligenschein; denn er befand sich auf Mehrheitsseite und hatte deshalb Recht.
Er erblickte seine Nachbarin, Frau Laub. Ihm wurde allein durch deren Anblick übel. "Zum Knochenkotzen ist diese Frau!" schnaubte er leise durch die Zähne. Diese Hexe würde er gern in einem Stück ausspeien. Gift und Galle spukte der behäbige Mann bei dem bloßen Gedanken an die.
Frau Laub ging unschuldig wie ein Kind durch ihren Garten. Sie hatte keine Zeit zum Warten. Sie hatte viel zu staunen, was ihr überblick und Durchsicht durch ihren verwunschenen Garten Eden bescherte. In ihrem kleinen Paradies, das Millionen und Abermillionen, ja, Milliarden und Abermilliarden Lebewesen eine Daseinsberechtigung bot, war Frau Laub mit allen gut Freund. Die hagere Frau mit den dünnen Storchenbeinen und einer spitzen Nase wie ein Specht beobachtete die Kröten, wie sie auf einem modrigen Brett wie in einem Luxusboot auf dem Wasser der tief in die Erde gegrabenen Regentonne dümpelten. Sie roch hingebungsvoll an den Blumen. Ah! Süß wie Honig. Die Nase der hageren Frau wühlte in der Blüte einer roten Rose als ob sich eine Hummel darin tummelte. Sie lauschte auf das fröhliche Gezwitscher der Vögel. Sie war stolz auf ihr vieles Grün, das mit jedem Blättchen die Sauerstoffbilanz unserer Atemluft positiv verbesserte.
Sie nahm sich nur wenige Augenblicke Zeit, sich in ihren Gartensessel zu setzen, wo sie fast zweimal hineinpaßte. Viel lieber legte sie sich auf eine Gartenliege und belauschte ihre Umgebung. Dann pochten Herr Plumps Gedanken boshaft: "Was die sich schon wieder hinlegt; die sollte mal was tun!"
Frau Laub hockte sich nieder und schnitt mit der Gartenschere die zwergengroßen Flecken ihrer hochstehenden Wiese. Schnipp. Schnapp. Schnipp... Das leise Schnipsen der Gartenschere statt des lauten Kreischens oder Brummens eines elektrischen Rasenmähers schonten ihre Nerven. Und die des Rests der Welt. Frischer Duft des geschnittenen Grases verwöhnte ihre Nase. Das Gras würde sie trocknen und in Säckchen unter dem Laubendach aufhängen. Spatzen holten sich daraus Heuhalme als Nistmaterial.
Ein Bläuling setzte sich vor ihrem gebeugten Knie nieder. Frau Laub ließ die Rasenschere sinken, um den Schmetterling näher zu betrachten. Da flog er schon wieder ängstlich davon. Als Frau Laub die Schere an das nächste Wiesenbüschel ansetzte, sprang ein seltenes Exemplar von knirpsigen, lindgrünem Grashüpfer mit einem Riesensatz in einen anderen Teil der Erddecke.
Herr Plump beobachtete genauestens seine Nachbarin. "Daß die immer was zu tun hat!" schnauzte er leise. "Die sollte sich mal hinsetzen!"
Er begann zu pfeifen. Absolut melodiös, wie er fand.
Das einzige, was Frau Laub störte, war Lärm. Dazu gehörte in ihren Augen das Piepsen des Nachbarn; das hatte Herr Plump herausbekommen. Und nun quälte er die Ungeliebte ein bißchen. Bald wurde ihm das allerdings langweilig, weil Frau Laub nicht reagierte.
Diesmal schwang er nicht in der knalligen Gluthitze den Pinsel mit gräßlich stinkender Farbe und beleidigte die Nase der Nachbarin, sondern versuchte, sie mit Hämmern zu vertreiben. Er drosch auf Metall, sodaß der Gehörsinn fetzte. Der spitze Klang durchfuhr die Gartenfreundin, als ob bei jedem Schlag jemand ihr ein langes Messer mit scharfer Klinge in die Ohren steckte.
äußerlich schien Frau Laub sich nicht stören zu lassen. Sie bedauerte gar den armen machtlosen Nachbarn, der versuchte, sein unterentwickeltes Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl mit machtvollem, demütigendem Lärm zu kompensieren.
"Ich bin der Stärkere," wußte der schlagende Herr Plump genau und triumphierte über die Stille.
"Ich heiße Gertrud," sagte sich Frau Laub. "Nomen est omen. Ger bedeutet Speer und trud Kraft und Stärke." Sie blieb beherrscht.
In aller Seelenruhe goß sie ihre Blumen in Ampeln, mit denen sie üppig die vordere Giebelseite ihres hölzernen Fachwerkhauses geschmückt und die Bäume behängt hatte.
Jetzt hatte Herr Plump die Nase voll von seiner langweiligen Nachbarin, die taub zu sein schien, und seinem langweiligen Garten, wo er nichts zu tun hatte. Er verriegelte seine Laubentür.
Das war das Zeichen, daß der Quälgeist nach Hause gehen würde. Frau Laub atmete auf. Nun konnte sie ihren Garten rundherum genießen.
Diese Ruhe. Wunderbar heilsam!
Ihre Kopfschmerzen lösten sich auf. Der Streß der Stadt verschwand. Hier wurde die Gesundheit erneuert. Ein wahrer Gesundbrunnen, so ein Stückchen Erde.
Sie fand eine neue, unbekannte Pflanze.
"Nanu? Welche mag das sein?" Strauchartig. Rissige Rinde. Hell. Vier paarig stehende Blätter mit gezacktem Rand, deren Stiel von einem Blatt gekrönt wird. In Fachdeutsch: Unpaarig gefiederte Blätter.
Sie wühlte in ihrer Garten-Bibliothek, die sie in der Laube untergebracht hatte. Dann setzte sie sich mit einem Stapel Bücher auf ihre überdachte Terrasse und suchte in der Literatur die zu dem Blatt und Aussehen passende Pflanze.
"Das ist ja...? Ja! Das muß es sein! - Holunder! Oha! Wertvoller Holunder!" (der so schön wie Nüsse unter den Zähnen knackt, wenn man seine gekochten Beeren ißt) freute sie sich ehrfürchtig.
"Ist der nun Unkraut? Was ist eigentlich Unkraut?" blitzte es ihr durch den Kopf. "Ich habe ihn nicht angepflanzt, genausowenig wie die Johannesbeere und die Stachelbeere und die Walderdbeere. Ich habe ihn nicht angepflanzt und nicht gesät. Den haben die Vögel mitgebracht. Der Holunder wächst dort, wo Vögel schlafen. Ist Unkraut alles, was die Natur gebracht hat?" grübelte sie, leise vor sich hin murmelnd.
"Also alle Pflanzen, die sich selbst den günstigsten Standort zum Wachsen und Gedeihen gewählt haben, was Boden-, Wasser- und Lichtverhältnisse betrifft? Ist alles das Unkraut, was der Mensch nicht selbst gesät hat, alles das, was sich - möglichst bequem aus der Tüte - vernichten läßt?"
Die Spatzen tschilpten "tetetetet". Die Kohlmeise sang "zizibä zizibä". Der Grünfink pfiff monoton. Immer wieder der gleiche, ziehende Laut. Der Gartenrotschwanz trillerte melodisch "ü träträ".
"Muß ich nun diesen Holunder, den Johannesbeerstrauch, den Stachelbeerstrauch und vorn am Zaun in der hellen Sonne die Walderdbeere, die sich so keck allein in meinem Garten angesiedelt haben, kurz und zackig herausreißen, so wie meine Gartenfreunde mit dem (vermeintlichen) Unkraut verfahren? Soll ich sie herausreißen? Warum sollte ich sie herausreißen? Weil es alle tun? Ist das ein Argument? Wer ist 'alle'? Sind das diejenigen, die nicht wissen, wofür Holunder gut ist, oder die, die die Obsternte als Arbeit und nicht als nützliches Vergnügen betrachten? - Bin ich alle?"
Frau Laub schnaufte nun erst einmal laut und vernehmlich.
Was hatte die Amsel nur? Sie schimpfte mit lärmenden "tixtixtixtixtixtixtix." Immerfort. Ohne sich zu beruhigen.
Einmal hatte die Naturfreundin zu ihrem Entsetzen und tieftraurig einen toten Amselpapa unter seinem Nest gefunden. Er war fast kahl gerupft. Eine Eule hatte ihn nicht geholt; es gab kein Gewölle. Der Gefiederte hatte sein Leben wahrscheinlich bei der Verteidigung seines Nestes gegen einen überlegenen räuberischen Vogel gelassen.
"Sie sind nützlich, und sie bleiben. Und ich ernte. - Basta,." beschloß Frau Laub. Egal, was ihr blühen mag.
Sie spitze nun nach einem tiefen Seufzer der Erleichterung die Ohren. Das Amselmännchen hat sich immer noch nicht beruhigt. Wer oder was störte den schwarzen, knallgelbgeschäbelten Amselmann? Die Naturfreundin schaute umher. Sie fand zunächst keinen Anlaß.Aber dann sah sie die Unruhestifter.
Ein Ehepaar stand vor ihrem Gartenzaun. Fremde, die hier in dem öffentlichen Gartengelände spazieren gingen und Erholung suchten.
"Guten Tag!" rief der Mann. Frau Laub fühlte, daß er sie ansprach.
Sie antwortete: "Guten Tag!" und ging um ein Mittelbeet herum nach vorn an die Gartentür.
Sie stand einem freundlich dreinschauendem Paar um die 40 gegenüber, er in Jeans und gelbkariertem Hemd und sie in einem tief ausgeschnittenen, schlichten, roten Sommerkleid.
"Sie haben einen wundervollen Garten," sagte der Mann.
"Ja?" Frau Laub wußte nicht, ob sie ihm glauben sollte oder ob er es ironisch meinte. "Gefällt er Ihnen?" fragte sie zweifelnd.
Frau Laub hatte nicht gehört, was der fremde Mann vorher mit seiner Frau gesprochen hatte:
"Diese Einzelmenschen, die nicht sind wie alle anderen, sind wie Edelsteine. Edelsteine sind besondere Spielarten häufig vorkommender Mineralien. Sie zeigen eine klare Durchsichtigkeit, eine spezielle Farbe, haben Glanz, ein hohes Brechungsvermögen und große Farbenzerstreuung. Sie leuchten wie ein herrliches Feuer."
"Ein Rohedelstein ist für Laien allerdings schwer zu erkennen. Sie werden - anders als die geschliffenen Steine - nicht als kostbar und wertvoll betrachtet," bedauerte die Frau.
Ihr Mann blieb im Bild: "Wenn diesen Einzelgängern die große Härte der Edelsteine fehlt, fehlt ihnen die Beständigkeit gegen Angriffe. Das Weiche ist geradezu eine Einladung für Bösewichter, die selbst schwächlichen Charakters sind und sich zusammenrotten, es ihrem Opfer zu zeigen."
In diesem Moment ergriff der Mann das Wort:
"Ja, sehr! - Wir gehen extra immer diesen Weg entlang, um an Ihrem Garten vorbeizukommen." Er klang glaubwürdig. Und er war nicht der erste Spaziergänger, der sich für den Garten interessierte.
"Wir freuen uns, daß wir heute die Besitzerin kennenlernen können," fügte die fremde Frau freundlich lächelnd hinzu.
Das klang wie Musik in ihren Ohren. Frau Laub gewann Vertrauen.
"Wollen Sie ihn sich ansehen?" bot sie dem Ehepaar entgegenkommend an.
"Ja, wahnsinnig gern!" wünschte der Mann, seine Neugier unverhohlen zeigend, und hatte es eilig hereinzukommen.
Auf den Oregano, dessen Vielzahl zartrosafarbener Blütlein die stattlichen Hummeln überwucherten, mußte Frau Laub die beiden nicht mehr aufmerksam machen.
Desgleichen nicht auf den Sommerflieder, der Buddleia, wo außer dicken Hummeln auch fleißige Bienen und zarte Schmetterlinge um die besten Plätze konkurrierten. Zu Hunderten! Die farbenfrohe Gesellschaft belagerte die Dolden so dicht, daß die blauviolette Blütenfarbe kaum noch zu erkennen war. Als wüchsen sie selbst aus den Stielen.
Das ist für jedermann von außen gut sichtbar.
Frau Laub breitete die brusthohen Himbeerruten auseinander. Große Augen machten die Gäste, als sie dazwischen die als Teich funktionierende Tonne erblickten. Ein Frosch oder verwunschener Prinz war im Moment nicht zu sehen, aber fünf allerliebste Erdkröten. Zwei erhaben große wie kräftige Männerfäuste und drei niedliche kleine, an Patschhändchen erinnernde, die einträchtig auf dem modernden Brett ein paar Sonnenstrahlen genossen. Eine Attraktion für vorbeikommende Kinder, denen Frau Laub den Miniteich manchmal zeigte.
Das Pärchen hatte sich zu schnell niedergehockt und die Unken erschreckt.
Plitsch! Platsch! tauchte blitzschnell die Froschlurchfamilie in die Tiefen der Tonne und ward nicht mehr gesehen.
Die unverhoffte Bewegung ließ die Fremdlinge zusammenfahren.
Och! Schade! Sie hätten sich die Tierchen gern näher betrachtet.
Die vielen sauberen Wasserstellen für die Vögel in Form von flachen Schalen, die überall im Garten und auf der Terrasse verteilt standen, würdigten die Leute. Im Moment kam kein Vogel zum Trinken oder zum Baden, aber die Spritzer um eine flache Schale auf den Holzlatten der Terrasse zeugten davon, daß hier vor kurzem ein Gefiederter sein Bad genommen haben mußte.
Das Pärchen schaute sich lebhaft um. "Was ist das denn?" wünschte es zu erfahren und zeigte auf einen feuerwehrroten, nach vorn gerippten Kasten, der an einem Balken der Terrasse hing.
"Der ist gefüllt mit Stroh," erklärte Frau Laub. "Darin überwintern die Florfliegen oder Goldaugen, wie diese elfenartigen, grünen Geschöpfe wegen ihrer goldenen Augen alternativ genannt werden. Das sind Nützlinge," erfuhren die wißbegierigen Zuhörer, deren Gesichter nun einzige Fragezeichen waren.
Die Gartenfreundin öffnete die Klappe, obwohl sein Innenleben durch die schräg gestellten Lamellen von unten und der Vorderseite eingesehen werden konnte, und ließ sie einen Blick auf das goldgelbe, gehäckselte Stroh werfen. Sie fuhr fort:

"Ihre Larven holen sich die Blattläuse."
Also sind Nützlinge kostenlose Helfer im Garten, die fleißig mitarbeiten, diesen von Ungeziefer freizuhalten. Daß diese Garteninhaberin keine chemische Keule verwenden würde, war jedem klar. Nicht nur den ihr Wohlgesonnenen, sondern auch ihren Feinden.
Das Interesse der Fremden beflügelte Frau Laub. Inzwischen wußte sie deren Namen, Ehepaar Holtgrewe. Er war übersetzer für Niederländisch und Arabisch, sie sozial engagierte Kindergärtnerin.
Die Gartenfreundin bewunderte die beiden. Sprachen zu können und sich sozial zu engagieren, war wahrhaft nicht alltäglich.
Frau Laub zeigte ihnen das Insektenhotel, das aus Bohrlöchern verschiedener Größe und Tiefe in dicken Holzscheiben sowie hohlen und gefüllten Markstängeln bestand. Hier konnten Solitärbienen und andere nützliche Sechsbeiner eine passende Bleibe für ihren Nachwuchs finden. Die Brut konnte sich darin entwickeln und sich am Vorrat aus Schadinsekten, die dort von ihren fürsorglichen Müttern genießbar vorbereitet eingesperrt waren, laben. Jedem das Seine. Die holzwollegefüllten Ohrwurmtöpfe dienten diesen als Unterschlupf und minderten die Schar der unangenehmen Läuse.
"Hinten wohnt ein Igel," erklärte Frau Laub, auf einen hoch aufgestapelten Reisighaufen zeigend, der für ungeübte Augen wie ein Abfallhaufen aussah. "Die beiden drallen Stacheltier-Eltern sind schon mit ihren beiden putzigen Jungen durch den Garten gezogen." Sie grinste bei dem Gedanken an die dreisten Krachmacher, die unbeeindruckt von ihrer Gegenwart laut schnaubend im Gänsemarsch durch den Garten marschierten.
Auch dieser frauenhohe Berg wurde wohlwollend betrachtet.
Der Kompost daneben, auf dem sich außer Pflanzen zusätzlich Tee- und Kaffeeabfälle, Kartoffelschalen und Gemüsereste sammelten, war nicht nur eine Hochburg der Regenwürmer, sondern auch von rötlichen Tausendfüßlern, die eilig auf ihren unendlich vielen Beinen wie eine Welle darüber entlanghuschten, und halbeiförmigen, unscheinbar grauen Kellerasseln sowie Millionen, ja! Milliarden unsichtbarer Lebewesen besiedelt, die nichts anderes zu tun hatten, als bei der Verrottung zu helfen und wertvollen Humus aus dem Angebot herzustellen. So starb der eine und starb doch nicht. Er wurde verändert, in kleine und kleinste Bausteine zerlegt. Die Helfer lebten quasi in goldenem Boden wie Handwerker und schafften gleichzeitig die Grundlage für frisches, gesundes Leben, in dem die Teile woanders erneut eingebaut wurden. In Samen oder Pflanzen, die aus einer Fülle von Nährstoffen schöpften. Wie in der Homöopathie leben die Teilchen in einer immer höheren Potenzierung fort. Die kostbare Pflanzenerde diente Frau Laub als guter Nährboden für ihre Zimmer- und Balkonpflanzen. Oder als heilendes Pflaster für Baumschnitt-Wunden.
Das Ehepaar Holzgrewe schnupperte auffällig. "Warum bloß?" wunderte sich Frau Laub.
Ach, so! Das Vorurteil. Kompost stinkt zum Naserümpfen übel. -
"Riechen Sie was?" fragte sie.
"Nein; jedenfalls nicht eklig. Nur würzigen Erdgeruch - wie überall in Ihrem Garten." sprach das Ehepaar, als hätte es gemeinsames Deklarieren geübt.
"Gehen sie nicht so dicht heran!" warnte Frau Laub die beiden, als sie ihnen den Eingang zu einem Nest mit Erdwespen zeigte. Die machten die Probe aufs Exempel und wagten sich dichter als einen Meter heran. Sofort quollen Wespen aus dem winzigen Erdloch in einer großen Wolke hervor. Herrn und Frau Holtgrewe wurde mulmig, und sie gingen ein paar Schritte rückwärts. Die kleinen Krieger zogen sich augenblicklich zurück, als die beiden Menschenkinder nicht mehr ihre Intimssphäre verletzten.
Die großen Hummeln verhielten sich völlig gegenteilig. Sie hatten sich unter dem Terrassenrost angesiedelt in einem Nest, wo im Jahr zuvor Gehäuseschnecken- und Haselnüsse-fressenden Brandmäuschen gewohnt hatten. Schwer beladen mit "Kübeln" von goldgelbem Pollen an ihren Hinterbeinen suchten sie nur den Eingang zu ihrem Zuhause zwischen den Holzlatten und ignorierten vollkommen die menschlichen Wesen.
Die wegen ihrer Größe respekteinflößenden, aber friedlichen Hornissen schauten sich in dem Eldorado nur besuchsweise um. Dabei achteten sie strikt auf genügend Distanz zum Menschen und wichen Frau Laub beim Zunahekommen aus.
"Uns gefällt Ihr Garten. Aber er ist so völlig anders als die umliegenden. Werden Sie hier nicht angefeindet?" interessierte Herrn Holtgrewe.
"Ja," bestätigte Frau Laub. "Viele Gartenfreunde sind nicht gerade erfreut über meinen Garten. Aber viele fremde Spaziergänger lieben ihn."
Das gelbe Mädesüß, das dem Bier Geschmack gibt und in dem sich verschiedene Hummelarten sielten, war gerade verblüht. Blutroter Blutweiderich, eine Futterpflanze für die Raupen schmetterlingsähnlicher Schwärmer und blutstillendes Heilkraut, hat es in der Blüte abgelöst.
Dieser Garten beherbergte auch Pflanzen, die vom Aussterben bedroht waren und unter Naturschutz standen. Dazu gehörten der Wurmfarn, der seine dekorativen Wedel im Frühjahr ausrollte und den Herr Plump allein wegen seiner bauchnabelhohen Höhe haßte, und das Kleinblütige Weidenröschen.
Eine Wildrose war Frau Laubs besonderer Stolz. Die dornlose Urform aller vornehmen Rosen, die neun statt fünf Blätter der kultivierten Gartenrosen an einem Stiel zählten, war so unscheinbar, daß sie glatt übersehen wird. Im Frühjahr schmückte sie sich mit kaum wahrnehmbaren, bescheidenen, weißen Blütlein. Welche Entwicklung hat hier bis zur sortenreichen Augenweide stattgefunden!
Darüberhinaus interssierte die Besucher die Ursprungsform der süßen, köstlichen Mohrübe, der Wilde Möhre.
"Haben Sie eigentlich auch Gemüse?" fragten die Informationshungrigen.
"Ja, aber nur wenig von dem im herkömmlichen Sinne." Frau Laub wies auf einige verloren rankende Bohnenpflanzen mit feuerroten Blüten und einigen grünen Bohnen.
"Einer kam durch," erläuterte sie resigniert. "Das ist aus drei Tüten Saatgut hervorgegangen. Nicht, daß nur so wenig gekeimt hätten. Nein. Aufgefressen ist alles. Von den widerwärtigen Nacktschnecken. Den Spanischen Wegschnecken, die den heimischen zum Verwechseln ähneln und sie verdrängen. Nicht, daß ich die heimischen mag, obwohl sie ja gute Humusproduzenten sind, aber sie waren nicht so gefährlich wie die eingeschleppten. Die machen vor nichts halt: Selbst Tomatenpflanzen - und sogar der hochgiftige Fingerhut - werden von denen radikal verspeist. Ganz zu schweigen von Kohl, Zucchini, Mohrüben und Kohlrabi. Ebenso Erdbeeren. Einfach alles. Sie verwandeln einen Garten Eden in einen Garten Neden. Nur mit Gift könnte ich den Plagegeistern vielleicht beikommen, alles andere hat bisher nicht geholfen. Mit Gift aber würde ich dem Boden schaden - und meine Nahrung vergiften. überdies sickert es ins Grundwasser und vergiftet außerdem dieses - unser späteres Trinkwasser. Nein - ohne mich!"
Die Vorstellung, ihrem eigenen Boden schwer zu schaden, jagte Frau Laub eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Sie fröstelte, schüttelte sich ein wenig, um das Gefühl loszuwerden und schlußfolgerte:
"Also verzichte ich auf dieses Gemüse und bevorzuge wildes, das die Nacktschnecken nicht mögen."
Beispielsweise das wie kleine Sonnen blühende Topinambur, das die nußartig schmeckenden, leckeren Süßkartoffeln bescherte, Löwenzahn, Giersch und Brennesseln - heutzutage rares und heißbegehrtes, teures Gourmet-Gemüse. So besitzt die Gärtnerin doch einen üppigen Garten Eden.
Auf die Brennesseln wußte Frau Laub nur ein Loblied zu singen, obwohl sie ihr immer wieder Pusteln auf die Haut brannten. Nicht nur, daß sie im Kochtopf zu einem leckeren, vitaminreichen, spinatähnlichen Gemüse verarbeitet wurden, das ihren Frühjahrsspeiseplan bereicherte, und in der Volksmedizin eine wichtige Rolle spielten; sie waren zugleich Futterpflanzen für viele geliebte Schmetterlingsarten wie Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs, Landkärtchen, Kaisermantel, Admiral, Brauner Bär und Distelfalter. Ohne dem Schmetterlingskraut finden die Raupen dieser anmutigen Schönheiten kein Futter. Ohne Essen kein Leben. So einfach ist das.
Frau Laub gab nicht nur Insekten und Igeln eine Chance sich zu entwickeln, sondern auch Vögeln. Die Nisthilfen, die sie dem fremden Ehepaar zeigte, bestanden nicht nur aus den vielen verschiedenen käuflichen Häuschen, die in den Bäumen über den Blumenampeln hingen, sondern auch aus Reisigbüscheln, die sie an die Stämme gebunden hatte. Hier fanden beispielsweise Grünfinken und Amseln, die Vogelhäuschen mieden, ein Versteck, um ihre Brut vor den gierigen Blicken und Schnäbeln von Elstern und Eichelhähern zu schützen und großzuziehen.
Das Pärchen staunte, was es alles in diesem Garten von 216 Quadratmetern zu besichtigen bekam. "Klein, aber oho," bewunderte es ihn.
Zum Schluß durfte das Paar, das nicht genug bekommen konnte und immer mehr sehen wollte, einen Blick in die Laube werfen. Anders als der Garten, der bei oberflächlicher Betrachtung als unordentlich bezeichnet werden konnte, war dieser Innenraum pikobello sauber und aufgeräumt. Außer der Bibliothek, die im Laufe der Gartenjahre gewachsen war und Frau Laubs Wissen über die Natur erweitert hatte, registrierte es Poster. Diese klebten an den schrägen Decken, die das Dach bildeten. Darauf waren die heimischen Vögel und die heimischen Schmetterlingsarten abgebildet.
Die Wände zierten neben riesigen Fotos eine Urkunde über einen ehrvollen dritten Preis für naturnahes Gärtnern, die Sensation in der Kolonie.
Auf einem der plakatgroßen Fotos daneben erblickten die Neulinge eine Hand, auf der ein fingerlanges Blaumeislein saß. Es war nicht größer als die Finger der Hand.
Frau Laub dachte daran, wie der winzige Kerl das erste Mal zitternd ihre Fingerkuppe mit seinen Zehen umkrallte. Sie erschreckte sich, als es so unverhofft kitzelte. Die Empfindung bildete den Ursprung einer Kribbelwelle, die durch den ganzen Körper rollte. Und das Vögelchen flüchtete überstürzt.
Vor einem anderen Bild erschreckten die Gäste. Vor ihnen saß - fast in Lebensgröße - Frau Laub. Sie hätten die Naturfreundin für narzistisch gehalten, wenn diese nicht auf die Hauptperson dieses Fotos hingewiesen hätte: Eine klitzekleine Kohlmeise saß vor ihr auf dem Terrassentisch.
"Im Oktober haben sich diese Vögel mit mir angefreundet," offenbarte Frau Laub. "Sie kamen täglich und bettelten. Bis ich sie verstand und ihnen Sonnenblumenkerne anbot. Dann sind sie mir auf die Hand geflogen."
"Und wie kamen die Fotos zustande?" wollten die beiden Besucher, die ungläubig staunten, erfahren.
"Die hat meine Tochter machen können. Die Gefiederten hatten Vertrauen zu mir und deshalb keine Scheu vor ihr."
Sie lachte bei dem Gedanken an "ihre" kleinen Lieblinge und erinnerte sich an einen besonders:
"Es gab einen Schönling, eine graubraune Sumpfmeise mit einer glänzend schwarzen Kopfkappe, weißen Wangen und einem kleinen, schwarzen Kinnfleck. Ich hatte sie so getauft, weil ich sie durch ihr besonderes Verhalten von allen anderen unterscheiden konnte. Das Vögelchen sah glatt geschniegelt aus. Aber jedes Mal, wenn es ein Körnchen pickte, stellte es seine Kopffedern auf. Allerliebst!" Sie schaute verzückt bei dem Gedanken an ihr besonderes Juwel.
"Wenn ich in den Garten kam, begleiteten mich die Vögel sogar das letzte Stück, als hätten sie auf mich gewartet. Und kaum hatte ich die Laube aufgeschlossen, war die Terrasse von ihnen bevölkert. Sie kamen sogar durch die Tür hereingehüpft, wenn ich am Tisch im Laubeninneren saß und las. Diese leichtgewichtigen Lebeweslein, die von ihrer Größe her zu zweit in einer Seerosenblüte baden könnten, hüpften äußerst geräuschvoll, - klick, klack - damit ich sie ja höre."
Die Leute mußten lachen, obwohl sie die Geschichten kaum glauben konnten. - Sie waren aber trotzdem wahr.
Die Besucher waren begeistert. Sie bedankten und verabschiedeten sich. Wieder draußen auf dem Weg durch das Gartengelände prallte ihnen eine stehende Wahnsinnshitze entgegen. Sie erschlug sie fast, und die Besucher bemerkten sofort den einige Grad heißeren Unterschied des nackten Weges zu dem kühlen, grünen Kleid, aus dem sie herausgeschlüpft waren.
Es war inzwischen später Nachmittag. Wie im Flug waren mit diesem Besuch zwei Stunden vergangen.


Der Tag war sooo schön. Kein Nachbar draußen. Göttliche, wohltuende Stille!! Frau Laub konnte sich nicht von ihrem Garten trennen und blieb.
Sie stellte eine Gartenliege auf die Miniaturwiese unter einem der drei Schmetterlingssträucher, legte sich darauf und schaute in den makellos blauen Himmel.
Sie genoß es, aus dieser Position ihre Umgebung zu beobachten. An den sattblauen Blütentrauben entdeckte sie die verschiedensten Falterarten, die gleichfalls Brennesseln liebten. Dazu sogar einen Trauermantel und einen C-Falter. Kein einziges Geräusch ließen sie vernehmen. Schwebfliegen "standen" lautlos über ihr in der Luft. Sie ähnelten Wespen. Mimikri nennen das die Fachleute. Die harmlosen, stachelfreien Tierchen "verkleideten" sich wie Wespen, unterschieden sich aber durch ihren Flug. Sie schwebten lautlos - oder summten wie Fliegen - auf der Stelle wie Kolibris, um dann blitzschnell und unverhofft einen Haken zu schlagen wie ein Kaninchen und dann standen sie wieder...
Der Wein ließ dicke Trauben üppig reifen. Der Holunder versprach, eine Traumzahl an blauen Lecker-Beeren zu schenken.
In den himmlischen Frieden mischten sich eine Jungen- und eine Mädchenstimme. Solche Geräusche liebte Frau Laub und horchte auf. Die Kinder blieben vor dem Garten stehen.
Ein Junge plauschte wichtigtuerisch, daß seine Eltern diesen Garten beobachteten. "Sie sehen hier nie jemanden und vermuten, daß er zu haben sei." Sie wollten sich um ihn bewerben. "Und dann rupft mein Vater alles hier vorn raus!" fügte der Sprecher hinzu.
Frau Laub blieb fast das Herz stehen. Das war der Gipfel! Aber sie blieb gefaßt. Die Garteninhaberin, die unsichtbar hinter ihrem Staudenbeet gelegen hatte, erhob sich blitzschnell von ihrem Lager, um ruhigen Schritts zu den Kindern zu gehen.
Die beiden starrten sie mit weit aufgesperrten Augen und Mund an wie einen Geist. Die Garteninhaberin lächelte sie liebenwürdig an. "Dieser Garten gehört mir," erklärte sie ruhig. "Er enthält jede Menge Attraktionen. Wollt ihr einige sehen? Beispielsweise Kröten und Frösche?" bot sie den Kindern an. Aber diese schüttelten nur stumm den Kopf und rannten davon.
Frau Laub erregte sich über deren Eltern. Wie kann sich jemand erdreisten und diese Oase vernichten wollen! So lange sie kann, wird sie den verschiedensten Lebewesen eine Heimat bieten. Das stand für sie fest.
Allmählich glätteten sich die stürmisch hochschwappenden Aufregungswellen.
Ein lauer Sommerabend. Viel zu schade zum Nachhausegehen. Frau Laub legte sich wieder auf die Liege. Es dämmerte. Gegenwärtig stänkerten die Mücken. Diese Plagegeister summten um ihr Ohr herum und pieksten und stachen an Armen und Beinen. Sogar durch das T-Shirt und Hose hindurch in den Bauch! Sie ließen sich nicht durch Herumfuchteln der Glieder vertreiben, sondern traktierten hartnäckig ihr Opfer.
Es wurde dunkel. Die bunten, schillernden Tagfalter wurden durch braungetönte Nachtflatterer abgelöst, die nun den Sommerflieder besuchten. Eine Nektarquelle ohne Ende!
Es wurde stockfinster. Frau Laub schaute auf die Uhr. Kurz vor Mitternacht. Augenblicklich mußte sie heimkehren. Es gab zwar eine Schlafmöglichkeit in der Laube, aber sie mußte morgen früh zur Arbeit gehen. Also raffte sie sich schweren Herzens auf und verschloß die Türen.
Wie zum Abschied erklang ein zauberhaftes Lied. Ein Vogel ließ das Herz schmelzen. Wer flötete so schmetternd kraftvoll-melodisch um Mitternacht? Diese ausdrucksvolle Stimme ließ einen großen, gewichtigen Vogel vermuten. Aber der Vogel ist keine Walküre, sondern etwa spatzengroß und unscheinbar. Und scheu. Die Nachtigall jauchzte und schluchzte, sie verzauberte die Seele des Menschenkindes und ließ sie wie leckeres Eis in der knalligen Sonne dahinschmelzen.
"Man dürfte keine Verpflichtungen haben, um ihr weiter lauschen zu können," klagte Frau Laub. Auf den wundervollen Gesang horchend, schlenderte sie heimwärts durch die stockdunklen, nur vom Mond beleuchteten Wege des Gartengeländes. Frau Luna tauchte die Scholle in ein fahles Licht, sodaß Frau Laub schemenhaft Bäume, Sträucher und Zäune erkennen konnte. Einsam spazierte sie ihren vertrauten Weg, und ließ ihre Augen über die Parzellen schweifen.
"Bei der Anlage ihrer Gärten gehen die Gartenfreunde - wie sich die hiesigen Gartenbesitzer nennen - offenbar von einem immer gleichen ästhetischen Gesichtspunkt aus. Als hätten sie eine öffentliche Grünanlage zu betreuen, reicht ihnen ein kurz geschorener, englischer Rasen plus Rahmengrün," dachte sie beim Anblick der in kaltes Mondlicht getauchten Kleingärten.
Einfach - übersichtlich - geschmackvoll?
Oder angepaßt? À la "Machen alle so."
"Viele Gartenbesitzer verstehen sich nicht als Verwalter eines Stückchens Natur; sie kommen wahrscheinlich nicht einmal auf den Gedanken."
Eine dunkle Wolke schob sich vor das helle, runde Gesicht des Mondes.
"Der Garten darf nicht aussehen wie bei Hempels unterm Sofa, noch nicht einmal ein geringster Teil. Obwohl ein bißchen Wildnis selbst bei repräsentativen Zwecken den Garten beleben würde. Nein, absolut sauber wie ein seelenloser Ausstellungsraum eines Möbelhauses hat er auszusehen," überlegte Frau Laub betrübt weiter. "Das ist ungefähr so, wie es sich mit der Apfelernte verhält. Die Gärten gleichen den äpfeln. Die äpfel aus dem Supermarkt sehen geleckt aus, geben geschmacklich aber nicht viel her, während die äpfel aus dem Garten nicht unbedingt das Auge erfreuen, dafür aber eine geschmackliche Köstlichkeit sind."
"Karrr..." knarrte die Nachtigall. "Der eine oder andere leistet sich zur Dekoration des spärlichen Grüns ein Baummöbel im Garten, das Möbel Apfelbaum oder Pflaumenbaum oder Kirschbaum. Wie man in einem Schaufenster ein Schlafzimmer an seinen Möbeln erkennt, so erkennt man den Garten an diesen wenigen Pflanzen und an seiner Einfriedung, dem Zaun. Obwohl sie im Freien liegen, erinnern sie wenig an Natur." So war ihr Eindruck.


Für Prestigezwecke wurde eine gartenfüllende Schaukel oder ein repräsentativer Grillofen in das Fleckchen Grün gestellt. Oder kniehohe Gartenzwerge. Oder eine Satellitenschüssel.
Warum war das so?
Weil es schon immer so war?
"Das ist falsch," überlegte Frau Laub. "Früher, vor etwa 30 Jahren, waren die Gärten weder geschniegelt noch gebügelt. Früher wurden äpfel eingeweckt. Heute stecken viele Gartenfreunde das kostbare Obst in Säcke und stellten diese der Müllabfuhr an den Straßenrand zum Entsorgen. Oder - um sich auch diese Arbeit zu sparen - wird der Baum gleich ganz gefällt." Diese furchtbare Erfahrung hatte sie bei einem Gartenfreund machen müssen, dem sie angeboten hatte, sein Obst zu verwerten.
Fehlte hier Liebe? Waren die Kenntnisse nicht ausreichend? Die Nachtigall warnte erneut: "Karrr..."
"Anders als der weltberühmte Berliner Botanische Garten, in dessen gewisser Urwüchsigkeit sich jedermann wohlfühlt, folgen die Gärten einem Trend," überlegte sie. Nicht barockartig-üppig, das ist altmodisch, sondern spartanisch wie die Fassade moderner Bürogebäude. Das ist chic.
Gleichzeitig mußte der Garten geputzt werden. Klinisch rein. Am besten steril, also extrem sauber und unfruchtbar. Und das bitte zeitgemäß pflegeleicht: Einmal pro Woche mit einer lauten Knatterbüchse Rasen mähen und alles, was nicht selbst angepflanzt worden ist, rigoros entfernen. Egal was; Wildgemüse beispielsweise wird als solches nicht erkannt oder anerkannt, also ist es Unkraut. So einfach ist das!
Kein Gedanke an Heilpflanzen, den Zauberkräften der Natur, geschweige denn an andere Lebewesen. Spielt alles gar keine Rolle. Weg! Weg! Nur weg damit!!
Vögel haben zu singen. Fertig. - Wie brütet eigentlich die Nachtigall?
Deren phantastischer, wohltönender Gesang begleitete sie bis zum Ausgang des Gartengeländes.
Frau Laub lauschte eine lange Weile auf ihr Erquickungs-Lied, von dem sie jede Strophe in sich aufsog wie ein trockner Schwamm das Wasser.
Endlich riß sie sich los und wendete sich nun endgültig zum Gehen. Die Stadt hatte sie wieder, kaum daß sie die Gärten-Idylle, diese grüne Insel im Häusermeer der Großstadt, verlassen hatte. In Berlin brauste der Verkehr. Hier schlug ihr Hitze entgegen, die die hohen Gebäude abstrahlten.


Als Frau Laub das nächste Mal nachmittags zu ihrem Garten spazierte, wälzte ihr der von der Statur her einem japanischen Sumo-Kämpfer ähnelnde Herr Plump entgegen.
Dessen figürliche Häßlichkeit ließ sie an das Schönheitsideal denken, das er forciert, das Klischee eines "schönen" Gartens mit möglichst Nichts drin. Ein Partygarten mit glattgeschorenem Rasen. Glatt wie frisch rasierte Männerbacken.
Neben dem 52jährigen Frührentner lief seine quicklenbendige, vor Lebenslust sprühende Frau. Sie kam nur besuchsweise in den Garten, um nach der anstrengenden Arbeit ein wenig zu entspannen. Es war klar, wer bei den beiden die Hosen anhatte. Seine Frau gab den Ton an.
"Wie Asche sehen seine Augen aus. Kein Feuer drin. Lebendig gestorben. Gestorben lebend," fand Frau Laub, die ihr Alter mit ihrem Widersacher teilte, bei näherer Betrachtung des wabernden Fleischberges. "Das ganze Gegenteil von seiner Frau."
Und Herr Plump fragte sich im Vorbeigehen zum zigtausendsten Mal, wie eine Frau, die so elegant wie ein Model angezogen ist, einen solch wilden Garten besitzen kann.
"Das paßt einfach nicht zusammen," fand er.
Das Grüßen hatte das Ehepaar schon vor einiger Zeit eingestellt, seitdem es dieser Nachbarin nicht mehr bedurfte. Anfangs war Frau Laub beruflich Frau Plump behilflich, bis diese Karriere machte. Dann war alles vergessen.
Frau Laub ersehnte ihren Garten. Ruhe und Stille würde sie genießen und sich bestens erholen können; denn dieser gemeine Nachbar war abwesend.
Fröhlich steckte sie den Gartenschlüssel in das Tor.
"Nanu?" Sie war überrascht. Sie konnte ihn nicht umdrehen. Mit Knete verstopft? - Nein.
Frau Laub versuchte es ein zweites Mal. Wieder das gleiche Ergebnis.
Nun schaute sie genauer hin.
"Ach, du grüne Neune!" Der Bart vom Schloß war verbogen. Jemand mußte mit aller Kraft gegen das Tor getreten haben. Schloß und Schließblech hatten dem standgehalten, waren aber gewaltig verändert.
"Was nun?" Frau Laub fühlte sich ratlos.
Sie war schwer beladen mit ihren Gemüseabfällen und leeren Gläschen, die sie für die nächste Einwecksaison sammelte.
"Das alles wieder zurückschleppen? - Nein."
Sie hob ihr Gepäck über das Gartentor und stellte es dahinter. Sie wollte gucken, ob sie jemanden draußen findet. Sie hörte gedämpfte Radiomusik. - In einem Garten erblickte sie eine Frau, die das Pachtland neu übernommen hatte.
"Ich bin Ihre Gartennachbarin zwei Gärten weiter," stellte sich Frau Laub vor.
"Ach, da, wo die Eule oben im Balkonkasten sitzt?" vermutete die Frau in grellem Orange.
"Ja."
"Ich liebe Eulen," erwähnte die neue Gartenfreundin.
"Ich habe ein Problem. Ich brauche eine Leiter. Können Sie mir eine leihen?" bat Frau Laub.
"Wozu brauchen Sie denn diese?" fragte die Frau.
"Ich will über mein Gartentor klettern. Ich kann das Schloß nicht öffnen. Es wurde dagegen getreten," erklärte Frau Laub.
"Schrecklich," meinte die Frau mitfühlend. "Immer diese Randale!"
"Ich habe es mit dem Rücken," erklärte sie. "Die Leiter müssen Sie sich selbst holen." Sie führte ihre Gartenfreundin hinter die Laube.
Die Leiter war glücklicherweise leicht. Sie war allerdings ungeheuer kurz. Sie reichte schräggestellt nur bis zum oberen Rand des Gartentors.
Frau Laub prüfte, ob sie fest stand. Dann kletterte sie nach oben, schwang ein Bein über das Tor und setzte das andere auf die oberste Querstrebe. Bemüht, nicht zu fallen, kletterte sie nach unten.
Endlich! Geschafft! Und heilgeblieben.
Sie holte die Leiter rein und fühlte sich eingesperrt. Den gleichen Weg zurück über das Gartentor konnte sie unmöglich nehmen.
Kommt Zeit, kommt Rat...
Es war nicht die erste Attacke, die sie ereilt hatte. Beispielsweise wurde ihr schon einiges aus ihrem Garten gestohlen: Der holzgeschnitzte Steinbock, der auf einem Steinhaufen thronte, die knallbunt lackierten Holzvögel, die Bäume und Sträucher belebten, die Keramikschnecken, die durch die Wiese krochen und ein Vogelhäuschen, das in Kniehöhe aufgehängt war, damit Rotkehlchen oder Zaunkönige darin nisteten. Sämtliche Weintrauben, dessen Reife Frau Laub sehnsüchtig herbeiwünschte, was Herr Plump mitbekommen hatte, waren von frevelnder Hand gepflückt; die Ernte vernichtet. Am letzten Neujahrstag hatte sie reichlich Silvesterknaller auf ihrer Terrasse gefunden. Die Laube hatte einen Schutzengel; sie war nicht in Brand geraten.
Aber die Zeichen waren deutlich: Sie sollte vernichtend geschädigt werden und verschwinden. Eine Geste von machtlosen Einfaltsspinseln, die Macht durch Zerstörung ausüben wollten.
"Wer nicht ausgelastet ist, keiner zeitfüllenden Arbeit oder ehrenamtlicher Betätigung zum Nutzen der Gesellschaft nachgeht, hat zu viel Zeit, sich destruktiven Gedanken hinzugeben und sich Gemeinheiten auszudenken," dachte Frau Laub betrübt. Herrn Plump wollte sie nicht verdächtigen. Diese Fleischtonne sollte so viel Kraft haben?
Frau Laub werkelte wie immer. Wasserstellen für die Vögel säubern und frisches Wasser einfüllen. Die Pflanzen in den Trögen und Töpfen gießen. Mit dem gesammelten Naß aus den Regenwassertonnen.
Die Pflanzen im Garten wurden vom Regen gegossen. Da sie so dicht standen und der Boden gemulcht war, also wie im Wald mit einer Schicht verrottender Pflanzen bedeckt war, hielt sich die Bodenfeuchtigkeit ausgesprochen lange.
Ihr Blick durchstreifte die Gärten, als sie hinter ihrer Laube stand. Sie stutzte. Wie sah es denn bei Herrn Plump hinterm Sommerhäuschen aus? Dort herrschte Vielfalt! Dieser Saubermann verwahrte, unsichtbar hinter seiner Laube versteckt, einen Stapel Kisten, ein ausgedientes Klobecken und einen verrosteten Grill.
Die Naturliebhaberin staunte. Sie selbst verwahrte gar keinen Müll in ihrem Garten.
Nun packte sie Das-will-ich-genau-wissen-Fieber. Sie ging an dem Zaun entlang und musterte Herrn Plumps übrigen Garten genauer. Im vorderen Teil seines Reiches stand versteckt hinter der Hecke ein verrottetes Fahrrad, ein Grillofen und ein paar zusammengeklappte Plastikstühle, die mit einer im Wind schlagenden und klopfenden Plane überdeckt waren. In der Ecke zu Frau Laubs Garten lagerte er einen Haufen, auf dem er seine Fleisch- und Fischreste vom Grillen zu entsorgen pflegte. Neben der Laubentür lehnte ein nie benutzter Straßenkehrer-Besen. Mitten im Weg zum Gartenhaus - für jedermann sichtbar, prangte eine türkisfarbene Schlauchtrommel. Sie war offenbar des Schmutzfinken ganzer Stolz; denn sie blitzte nagelneu. Der Schlauch war vorzeigbar ordentlich aufgewickelt.
Da traf es sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel! Die Idee!
Ja, so ließe sich das Gartentor öffnen! Sie holte einen Schraubenzieher und baute das kaputte Schloß ab. Das Tor konnte sie ab heute mit einer Fahrradkette sichern, die sie zufällig in der Laube gelagert hatte.
Nun kam sie doch dazu, ihren Garten zu genießen und sich an ihm zusammen mit den tierischen und pflanzlichen Lebewesen freuen. Nachdem sie rasch die Leiter zurückgebracht hatte, konnte sie sogar ein altes, spazierengehendes Ehepaar hereinlassen; die gehbehinderte Greisin mußte mal dringend zur Toilette. Danach konnten sich die beiden in der wohligen Kühle ihrer mit verschwenderischer Fülle weiß blühenden Knöterichs überwucherten, wie von einer Puderzuckerhaube Schnee bedeckten Laube erfrischen. Frau Laub kochte für die von der mörderischen Hitze Erschöpften einen heißen Kaffee, den sie dankbar tranken. Während oben in den zarten Blütentrauben auf dem Dach sich Schmetterlinge, Hummeln und Bienen sielten und labten, erholten sich unter dem Dach, gesittet sitzend, die beiden betagten Herrschaften.
Sie waren schon längst gegangen; es war wieder spät geworden. Die Nachtigall beglückte erneut Frau Laub; sie sang zum Weltvergessen hinreißend.
"Ob sie in meinem Garten brütet?" fragte sich die Naturliebhaberin. "Wo baut sie eigentlich ihr Nest?" Diese Angelegenheit wollte sie doch klären.
"Das werde ich mal gleich tun, bevor ich nach Hause gehe, damit ich es nicht vergesse."
Die Bücher erwiesen sich als wahrer Schatz. Was man hierin alles findet!
Die Nachtigall ist ein Zugvogel, der uns ab Mitte August verläßt. Hierbei bleibt sie solo wie beim Singen. Ihr Nest baut sie aus feinen Zweigen, Wurzeln, Gras, Fallaub und - vor allem - Brennesselstengeln. Es sieht aus wie ein tiefer Napf, der direkt auf dem Boden oder dicht darüber in einer Krautschicht versteckt ist.
"Vielleicht finde ich eines Tages mal den Nistplatz," dachte Frau Laub. Von Finken, Dompfaffen und Amseln hatte sie schon öfter sogar während der Brutphase Gelege entdeckt. Wenn sie so friedlich auf ihrer Liege in einem Winkel ihres märchenhaften Paradieses ruhte, und die Vögel nicht warten konnten, bis die Menschin verschwunden war, um ihre nach Futter zeternden Jungen aufzusuchen, nutzten sie vermeintlich unbeobachtete Augenblicke.
In ihren Vogelhäuschen, die sie regelmäßig im Spätherbst reinigte (wenn die Gänse laut schnatternd in lockerer V-Formation gen Süden über Berlin hinwegziehen), um den Daheimgebliebenen eine saubere Winter-Wärme-Stube zu bieten, hatten verschiedene Vogelarten genistet. Außer Kohlmeisen mit dem gelben Bauch und breitem, schwarzem Mittelstreif fanden hier auch die unglaublich scheuen, rundlich-kleinen, gewandten Kletterer Blaumeisen und die frechen, beim Brüten aber extrem feigen Spatzen einen Zufluchtsort. In diesem Jahr wohnten darin sogar Hausrotschwanz und Trauerschnäpper.
Ihre Ruhezone zu verlassen, fiel Frau Laub wie immer schwer; aber die war ja nicht aus der Welt...


Am nächsten Nachmittag hörte sie Stimmen aus Herrn Plumps Garten, als sie die Kette um ihr Gartentor aufschloß. Etwa ein Dutzend Gäste sah sie, versammelt um eine lange Tafel. Offenbar eine Feier. Fisch- und Fleischduftschwaden zogen vom Grill herüber, begleitet von einer erträglichen Kaffeeklatsch-Geräuschkulisse.
Trotzdem konnte sie jedes Wort verstehen. Herr Plump eröffnete unter anderem, daß er Ratten gesehen hätte. Junge Ratten, die miteinander spielten. Ein Mann mit grauen Schläfen und Brille empfahl ihm, eine Rattenfalle aufzustellen.
Frau Laub hatte nur Ohren für das Lied eines Singvogels. Hingebungsvoll lauschte sie ihm. Diese Stimme kannte sie.
Diesmal plagte sie nicht das Problem, dessen Gesang zu identifizieren. Unbekannte Vogelstimmen sich zu merken und - ohne einen Blick auf den Sänger zu erhaschen - seinen Träger herauszufinden, war am schwersten, wenn nicht sogar unmöglich. Ihre Unzulänglichkeit und ihr lückenhaftes Wissen betrübte dann Frau Laub höllisch.
Der in seinem schwarz-weißen Kleid elegant wirkende Trauerschnäpper lockte: "bitbit, teck, zr..." Dann verschwand er in seinem Vogelhaus.
Die Gesellschaft nebenan holte ein Ungetüm von Fernseher aus der Laube und stellte ihn mitten auf den meckikurzgeschorenen Rasen. Kaum eingeschaltet, räkelte sich eine junge, zierliche Frau mit blonden, engellangen Locken auf einem exklusiven, sündhaft teuren Autoschlitten in der Werbung. Bei diesem Anblick schmolzen die Männerherzen dahin. Herr Plump waberte vor lauter Aufregung am ganzen Körper. Das lockend rote Traumauto, das genauso gewinnend zu lächeln schien wie die halbnackte Amazone mit den großen, verführerischen Augen, stand mitten auf einem ansprechenden glattgrünen Rasen, der einer grün gestrichenen Betonpiste glich. Ein Baum im Hintergrund und einige bunte Blümchen verschönerten die Optik und malten das Bild von gesunder Umwelt.
Die Runde prostete dem tollen, anregenden und aufreizenden Fernsehbild begeistert zu. Das waren die goldrichtigen Ideale! Die Vorfreude auf das anstehende, spannende Autorennen wurde ordentlich gut angeheizt.
Frau Laub warf einen kurzen Blick auf den Bildschirm. Dann schaute sie sich - wie immer - in ihrem Garten um, roch hier an einer Blume, überstrich dort ein samtiges Blatt.
Sie begann, die Wasserstellen der Vögel zu reinigen und ihre Blumenkästen und -ampeln zu gießen. - Da bemerkte sie Herr Plump.
Im Gespräch mit seinen Gästen wurde seine Stimme lauter, und er fügte häufig ein kräftig wieherndes Lachen ein: "Hihihahahoho". Als hätte er damit ein Zeichen gegeben, steigerte sich der Geräuschpegel der Gesellschaft zu unerträglichem Lärm, und sie linste mit scheelen Blicken zu Frau Laub herüber.
"Alles Deutsche," stellte Frau Laub fest. Die meisten Besucher nebenan kannte sie vom Sehen; sie kamen öfters zu Besuch oder gossen den Garten, wenn Herr Plump im Sommer, mitten in der Hauptgartensaison, verreist war. "Es gibt Menschen," überlegte sie, "- und davon nicht so knapp - die sich in kleineren oder größeren Gruppen zusammenrotten und zu willigen Handlangern einer irgendwie - sei es durch Werbung, sei es durch üble Nachrede - verbreiteten, aber nicht belegten Anschauung degradieren. Wenn da nicht eine höhere Macht dazwischendonnert, halten sie sich für den Maßstab aller Dinge und lassen ihre Opfer leiden. Was sind das für Charaktere, die auf Kosten anderer - häufig völlig unbekannter - Leute ihr Selbstbewußtsein und ihre Macht definieren müssen?"
"Di writze writze diple diple writze writze diple diple...," stammelte der Trauerschnäpper aus dem Süßkirschenbaum.
Selig, dem relativ seltenen Vogel ein Domizil gegeben zu haben, schmolz Frau Laub bei seinem Gesang wie Butter in der Pfanne dahin.
Die Menschen im Nachbargarten schienen ihn gar nicht wahrzunehmen. Ihr Lärmpegel schwoll an. Das gehässige Gröhlen und Johlen wurde unerträglich. Die mit dem haßerfüllten Seelenschutt übersäte Frau Laub drohte zu ersticken.
Die Lärmtyrannei half Herrn Plump, seine Identität in der Feindschaft zu finden und sich durchzusetzen. So mutterseelenallein fühlte er, der Ich-ich-ich-Mensch, sich unsicher. Gemeinsam waren sie stark!
Frau Laub, die direkt von der Arbeit gekommen war, hatte es eilig, ihre wichtigsten Arbeiten im und für ihr Paradies zu erledigen und nach Hause zu kommen. Sie begehrte Ruhe, um sich zu erholen.


Am übernächsten Tag hatte Frau Laub frei. Sie suchte frühmorgens ihren Garten auf, relativ sicher, daß sie Herrn Plump nicht begegnen wird.
Der aber war - zu ihrer überraschung - schon in seinem Garten. Er buddelte seinen Phlox aus dem Beet neben dem Weg zur Laube, der seiner Ansicht nach nicht üppig genug blühte. Damit vergrößerte er die öde seines Gartens. Daß der Pflanze nur Wassergaben gefehlt haben könnten, dieser Gedanke blieb ihm himmelweit fern. Hinterher harkte er sorgfältig den Boden neben dem Weg glatt und schaute zufrieden auf sein Werk.
Frau Laub krampfte das Herz, als sie diese gottlose Tätigkeit sah. Aber sie blieb schweigsam. Dem Phlox hätte sie nicht mehr helfen können. Herr Plump hat beschlossen, ihn zu vernichten. Und somit geschah das.
Was Frau Laub nicht mitbekam, war seine vorangegangene Arbeit. Er hatte an ihrem Zaun auf seiner Seite eine Rattenfalle aufgestellt.
Die Gartenfreundin kümmerte sich - wie immer - um ihren eigenen Garten. Sie staunte über die Vielfalt der Natur, stieß sich nicht an der Einfalt des Nachbarn, sondern sorgte dafür, daß ihr üppiges Land eine glückliche Gegend für Mensch und Tier blieb.
Einige Astern, die sie mitgebracht hatte, sollten sich in ihrem Garten behaglich einrichten. Sie grub die Pflanzen in die Erde und wünschte sich und ihnen, daß sie sich in diesem Garten wohlfühlten. Dann schaute sie beglückt auf ihr Werk und besichtigte ihren Wunder-Garten.
Heute war sie nicht die einzige, die ihr Dorado näher betrachtete. Ein Trupp von drei Kindern, zwei Jungen und einem Mädchen, bewaffnet mit Zetteln und Stiften blieb vor ihrem Landstück stehen. Sie beäugten ihn und zeigten auf verschiedene Pflanzen. Sie rätselten über deren Namen. Das pummelige, pausbackige Mädchen mit dem modischen Bubikopf sprach die Gartenbesitzerin höflich an:
"Wie heißt bitte diese Blume?" Sie zeigte fragend auf eine Pflanze, die Nadeln wie Tannenbäume hatte.
"Rosmarin," antwortete Frau Laub.
"Rosmarin, ja? - Wofür ist der gut?" forschten die Kinder aufgeregt nach.
Entzückt über das lebhafte Interesse, stellte Frau Laub die Pflanze weiter vor: "Es ist ein Küchen- und Heilkraut."
Die Kinder kratzten die Angaben eifrig aufs Papier, schnipsten aber unschlüssig mit der Kulimine und schienen auf mehr Informationen zu hoffen.
"Was wollt ihr noch hören?" fragte die Naturliebhaberin.
Ein Füllhorn an Wissenslust ergoß sich über Frau Laubs Haupt: "Na, zum Beispiel, ob und wie Rosmarin blüht. Was heilt man damit, und wie wird er in der Küche verwendet? - Und warum sind Feldsteine um die Pflanze herum gruppiert?"
Die Gartenfreundin staunte. Das lebhafte Interesse ließ ihr Herz vor Freude springen. Sie begann mit der Beantwortung des letzten Rätsels:
"Das ist eine wärmeliebende Mittelmeerpflanze. Damit sie sich bei mir einigermaßen wohlfühlt, habe ich die Steine um sie herumgelegt. Diese speichern tagsüber die Wärme und geben sie nachts an die Umgebung ab. Für die Pflanze ist das wie ein geheizter Ofen, an dem sie sich wärmt."
Sie dachte einen Moment nach.
"Geblüht hat diese Pflanze bei mir bisher nicht; es ist ihr hier wohl nicht warm genug."
"Aber sie steht vollsonnig," bemerkte das Mädchen.
"Ja," bestätigte Frau Laub. "Den ganzen Tag bescheint die Sonne sie."
Die Naturfreundin rupfte ein paar Nadeln ab und gab sie der pummeligen Braungebrannten.
"Zerkleinere die mal!" forderte sie diese auf. Und dann: "Halt die unter deine Nase. Riechst du was?"
"Sie duftet," sagte das dunkelhaariges Mädchen und reichte den Nadelsalat weiter. "Ganz schön stark," ergänzte ein rothaariger Junge. "Fast wie Eukalyptus." "Richtig. Und Kampher. Eine Mischung aus beiden," vervollständigte Frau Laub.
"Laß mich auch mal riechen," verlangte der andere Junge mit erregter, etwas lauterer Stimme.
"Macht, daß ihr fortkommt!" donnerte harsch eine aufgebrachte Männerstimme dazwischen.
Es entstand eine Mucksmäuschenstille. Alle schauten überrascht in die Richtung des bösartigen Ausrufs, das wie das gefährliche, zähnefletschende Gebell eines blutrünstigen Kampfhundes klang.
Herr Plump war auf den Weg hinausgetreten und machte Weg-weg-Bewegung mit seinen ruttelnden Armen und Händen. Er, der einem lebenden Wackelpudding glich, wollte die Kinder wie lästige Fliegen verscheuchen.
Die Kinder trampelten unschlüssig von einem Bein aufs andere und schauten Frau Laub fragend an. Die blieb gelassen. "Kommt einen Augenblick in meinen Garten," bot sie den Kindern an.
Kaum waren sie drinnen, lenkte sie die Aufmerksamkeit der Kinder wieder auf deren Anliegen und ließ sie den ekligen Nachbarn vergessen, der mit hochrotem ärgerkopf in sein Reich zurückwalzte.
"Kostet mal eine Nadel. Wie schmeckt Rosmarin?" erkundigte sie sich. Die Kinder probierten.
"Ein bißchen bitter," stellte das Mädchen fest. "Und harzig," ergänzte der rote Krauskopf.
"Rosmarin zählt zu den stärksten Blattgewürzen. Daher wird es ordentlich sorgfältig in der Küche dosiert," legte Frau Laub sachlich dar.
"Was eßt ihr denn gern?" fragte sie.
"Hühnchen," platzte der kesse Rotschopf heraus und seine beiden Freunde nickten dazu.
"Oh, dafür ist Rosmarin gut geeignet. Aber ebenso für Fisch, gern auch zu Kartoffeln, Zucchini, Auberginen und Tomaten. Ich selbst hebe damit den Geschmack von Blumenkohl, Bohnen und Gurken."
Die Kinder wunderten sich, denn bei ihnen wanderte Rosmarin nie in den Kochtopf.
Frau Laub baute ihnen eine Brücke und erklärte, daß dieses Gewürz vor allem in Italien einen Hit darstellt. Das stillere dritte Kind wurde nun munter und beschrieb, wie die Eltern öfter mit ihm und seinem Bruder nach Italien verreist waren.
Die anderen beiden konnten nicht mitreden und drängelten, daß sie weitere Pflanzen kennenlernen wollten.
Tim, der Rotschopf zeigte auf eine Pflanze mit hellgrünen, lanzettartigen Blättern.
"Das ist Salbei," stellte Frau Laub vor und nahm der Pflanze ein paar graufilzige, immergrüne Blätter. "Die Schmackhaftigkeit von Auberginen, Tomaten, Mohrüben und Fenchel unterstreiche ich damit."
"Zerreibt die mal," empfahl sie den Kindern. Die taten es. "Kann man die auch essen?" suchte der Schüchterne zu ergründen.
"Ja! Wie schmecken sie?"
"Würzig. Leicht bitter," stellte der zurückhaltende Junge fest, der auftaute. Hajo hieß er. "Geht so."
"Aber anders als Rosmarin. - Kommt der gleichfalls aus dem Mittelmeergebiet?" interviewte sie Indra, das Mädchen; denn auch um diese Pflanze gruppierten sich Feldsteine.
"Gut beobachtet!" lobte Frau Laub. "Die Italiener führen damit vor allem Kalbsschnitzel zu Wohlgeschmack. Ebenfalls ist er auch in brauner Butter gebraten sehr beliebt und wird als Soße Nudeln, besonders Gnocchi, hinzugefügt.
Die Kinder nickten und notierten alles eifrig auf ihren raschelnden Zetteln.
"Kennt ihr das Kirchweihgebäck oder die Apfelschnitten, denen Salbeiblätter beigemengt werden?" erkundigte sich Frau Laub.
Einhellig schüttelten Tim, Hajo und Indra die Köpfe.
"Muß man ja nicht kennen," zwinkerte Frau Laub. "Aber die Mäuse! Die Mäuse, das sind in Teig gehüllte, gebackene Salbeiblätter. Gar kööösstlich!" schwärmte die Gartenfreundin.
Indra und Tim kicherten. "Die Mäuse!"
"Ist Salbei auch eine Heilpflanze?" forschte der ernsthafte, blonde Hajo. Nach dem Namen und dem Habitus zu schließen, stammte er aus Friesland. Er bestätigte es der Gastgeberin.
"Salbeitee mit Honig trinkt oder gurgelt man bei Halsschmerzen," fiel Frau Laub ein Hausmittel ein. "Bei Zahnfleischbluten hilft er auch."
"Von Rosmarin haben wir die Heilwirkung vergessen," jammerte Indra verdattert dazwischen.
"Das wirkt als Bäderzusatz kräftig aufmunternd und kreislaufanregend. Als Tee hilft er gegen Nervosität, ist verdauungsfördernd, und harntreibend," holte Frau Laub schnell das Versäumnis nach.
Sie bemerkte, daß Herr Plump über seine Hecke zu ihnen stierte, den Kopf nach vorn geschoben, als ob er sie und die Kinder vergiften wollte.
"Jetzt ist aber genug," mischte er sich grob ein. "Gebt endlich Ruhe. Wenn ihr was wissen wollt, fragt euren Lehrer!" gellte er mit schneidender, sich mehrmals überschlagender Stimme.
Die Kinder hielten sich die Ohren zu. Auch Frau Laub biß der schrille Schall ins Trommelfell.
Sie entschuldigte sich bei den Kindern für den Nachbarn. "Tut mir leid, daß wir nicht ungestört sind," bedauerte sie schulterzuckend.
"Wollt ihr mehr erfahren?" animierte sie mit gewinnendem Lächeln deren Forschungstrieb erneut.
Der Rotschopf mit der kecken Himmelfahrtsnase zeigte auf den Lavendel, der neben dem Salbei stand.
Die Naturfreundin strich über die Pflanzenwedel als ob sie besänftigend einem Kind den Kopf streichelt. Es stieg ein parfumartigen Duft in ihre und der Kinder Nase. Einen Moment blieb er an ihren Händen haften.
Tim, Indra und Hajo schnupperten. "Mmh... Riecht brillant!" urteilten sie.
Schon war der Wohlgeruch verweht.
Frau Laub sah, daß Herr Plump sich wabbelnd und schwabbelnd wie eine dichte, undurchdringlich wabernde Nebelwolke in seine Laube verzog. Im Stillen atmete sie auf. Die Kinder, die den Rückzug dieses fetten Monsters ebenfalls beobachtet hatten, seufzten freimütig laut erleichtert.
Die Blätter des Lavendels schmeckten wie der Salbei leicht bitter, aber ebenso angenehm. Als Gewürz bereicherten beide vor allem die südfranzösische Küche. Zusammen mit Kerbel, Estragon, Majoran, Bohnenkraut, Rosmarin, Thymian und häufig auch Fenchel wird damit vor allem Fisch, aber auch Fleisch und Gemüse zum Hochgenuß aufgepäppelt. Bekannt ist beispielsweise Ratatouille, ein würziger Gemüseeintopf aus Zucchini oder Kürbis, Tomaten und Auberginen.
All die Kräuter wuchsen in Frau Laubs Garten, zum Teil allerdings in Blumenampeln an der Laube hängend; denn selbst die Nacktschnecken wußten sie als Delikatesse zu schätzen. Vor diesen unbeherrschten Fressern sollten sie geschützt werden. Manchmal schien allerdings ihr ungezügelter Appetit ihnen Flügel zu verleihen; denn gelegentlich fand die Gartenfreundin unerklärlicherweise solch ein schmähliches Exemplar in einer ihrer Ampeln. Sie verwendete reichlich Kräuter zum Kochen, mit denen sie ihre vegetarischen Gerichte verfeinerte. Nach einem gut gewürzten Essen leckt sich jeder ihrer Gäste alle fünf Finger.
"Ist Lavendel nur für die Küche gut?" erkundigte sich Frau Laub schelmig.
"Die Mama legt die Blüten als Mottensäckchen in unsere Kleiderschränke," behauptete großspurig Tim.
"Du hast ins Schwarze getroffen. 100 Punkte!" lobte die Erwachsene. "Rosmarin und Zitronenmelisse können ebenfalls als Mottenschutz zwischen die Kleider gehangen werden. Ansonsten werden mit Lavendel sowohl Kopfschmerzen als auch Nervosität geheilt. Sein öl kann außerdem Rheuma und Gliederschmerzen lindern."
"Wir haben drei Pflanzen," triumphierte unerwartet Tim und gab das Zeichen zum Aufbruch. Plötzlich hatten die netten Kinder es eilig zu gehen. Frau Laub wunderte sich darüber. Gern hätte sie sich weiter mit ihnen unterhalten und ihnen mehr gezeigt. Aber Tim, Indra und Hajo brachen unbeirrt auf.
"Ihr könnt gern wiederkommen," bot Frau Laub an.
"Tschüß!" riefen die drei und weg waren sie.
Ihr überstürzter Aufbruch verdatterte Frau Laub, die ihnen sehnsüchtig hinterherschaute; denn sie hätte gern weitere Geheimnisse ausgeplaudert.
"UUUUAAAH!" dröhnte es zu ihr herüber. Herr Plump gähnte lauthals. Förmlich konnte sie ihm einen Stein vom Herzen plumpsen hören. Herr Plump war erleichtert, nicht mehr den hellen Stimmen dieser neugierigen, dummes Zeug plappernden Deppen ausgeliefert zu sein.
Er rülpste lauthals, daß Frau Laub schlecht wurde. Anschließend erhob er sich umständlich aus seinem Stuhl und wälzte sich an dem frisch geharkten, kahlen Beet, worauf voller Stolz sein Blick weilte, vorbei zum Gartentor. Er hoffte, einen Gartenfreund für ein bestrickendes Schwätzchen zu treffen.
Stattdessen gewahrte er zunächst eine spazierengehende Türkenfamilie. Vorneweg Vater und Großvater, dahinter zwei ältere dicke Frauen mit Kopftuch und dann zwei jüngere mit wundervollen, langen Haaren, die Kinderwagen schoben. Alle schwatzten lebhaft türkisch miteinander. Das fand Herr Plump erträglich.
Aber! - a... a... a... aber was kam dahinter? Ihm stockte der Atem. Das kann nicht wahr sein! "Sag, daß es nicht wahr ist!" befahl er sich. Ihm wurde schwindlig. Herr Plump rieb sich die Augen, als ob er unheimliche Gespenster erblickte. Aber sie wurden nicht unsichtbar. Ein neuer gräßlicher Trupp naseweiser Gören. Gleich vier Stück! Alle bewaffnet mit Zetteln und Stiften. Ihm war klar, welchen Garten die ansteuerten. Daß ihm der Herrgott von dieser abscheulichen Bande nicht verschonen konnte! Ihm rutschte das Herz in die Hose. Plumps!
Wie befürchtet, hielten auch diese Kinder vor Frau Laubs Paradies und betrachteten die Pflanzen. Auch diese Schüler sprachen die Naturfreundin an. Auch sie wollten Pflanzennamen und deren Verwendung auskundschaften. Wie das vorherige Grüppchen.
"Warum interessiert ihr euch dafür?" wunderte sich Frau Laub. "Eben waren schon mal Altersgenossen hier und quetschten mich aus."
"Wir haben heute Projekttag in der Schule. Und der Lehrer hat uns zu Ihrem Garten geschickt. Wir sollen ihm wenigstens drei Pflanzen mit ihren Eigenschaften nennen, die wir hier drinnen sehen."
Sie sollten nicht über dieselben Pflanzen berichten wie ihre Mitschüler, befand Frau Laub. Deshalb führte sie die Kinder zum Oregano, der bei uns synonym Wilder Majoran genannt wird. Die Kinder fanden seine Blätter leicht bitter-herb schmeckend.
Ein blondes Mädchen spuckte das Kraut aus. "Das kann ich nicht essen," jammerte sie.
Frau Laub reichte ihr rasch einige junge Pimpinellenblätter, die wie Minifächer (zum Luftwedeln) zusammenstanden. "Kau den Geschmack weg," empfahl sie mitfühlend. "Diese schmecken nach grüner Gurke." Das Gesicht des Mädchens erhellte sich.
"Du magst sicher keine Blut- oder Leberwurst?" vermutete Frau Laub. Das Mädchen nickte.
"Die Würste enthalten Oregano," lüftete die Erwachsene das Geheimnis ihres Volltreffers.
Der blonde Junge der Gruppe wollte sich über seine Mitschülerin kaputt lachen und zeigte überheblich verachtend mit dem Finger auf sie. "üüüüüüh!" schrie er und kaute selbst betont schmatzend die aromatischen Oregano-Blättchen.
"Kann ich was zu trinken haben?" fragte er hinterher. Frau Laub fragte: "Hast du wirklich Durst? Oder reicht Pimpinelle?" Der blauäugige Junge akzeptierte das Angebot. Die Kinderfreundin gab ihm und den beiden anderen Pimpinelle. Der zweite Junge war ein dunkler Typ; er ähnelte einem Araber. Das andere Mädchen trug einen roten Punkt auf der Stirn, es kam aus Indien.
"Mit Oregano bereite ich fast alle Speisen zu," erzählte Frau Laub, "Blumenkohl und Rotkohl, Bohnen, Fenchel und Schwarzwurzel, auch Chicoree, Lauch und Erbsen." Allein bei dem Gedanken spürte sie, wie sich die Spucke in ihrem Mund sammelte.
Sie zeigte den Vieren ihren Miniteich, wo gerade eine knapp daumengroße Kröte auf dem Brett Kahn fuhr.
"Ach, wie süß," entfuhr es den Kindern begeistert. Der blonde Struwwelkopf versuchte, sie zu fangen. Hops! sprang dieses Winztierchen in einem Riesensatz über den Tonnenrand und verschwand geräuschlos in der Mulchschicht des Beetes. Zurück blieben die langen Gesichter der Kinder.
Frau Laub kam wieder auf Oregano zu sprechen.
"Zusammen mit Basilikum bestimmt Organo den Charakter vieler italienischer Gerichte. Er wird gern zu Tomatensoßen, gebratenem Gemüse und gegrilltem Fleisch gegeben. Er ist dazu ein wichtiges Pizzagewürz. Was ist Pizza ohne Oregano? Pizza, die es heutzutage in unzähligen Varianten gibt, war früher eigentlich nur ein mit Tomatenpaste bestrichenes Brot, die tägliche Nahrung der Armen. -
Oregano ist fürderhin in der spanischen, französischen, griechischen und mexikanischen Küche sowie im Süden der USA als Ingredienz beliebt. Dort gerät damit Chili con Carne, also mit Chilivarietäten geschmortem Fleisch mit oder ohne Bohnen, zu lukullischen Leckerbissen."
Die Kinder hingen an ihren Lippen. Sie bekamen große Ohren. Toll, was es über Kräuter mitzuteilen gab! Sie blieben konzentriert bei der Sache:
"Hat Oregano eine Heilwirkung?" erkundigte sich das Mädchen mit blondem, glattem Haar.
"Es regt die Verdauung an", entgegnete ihr Frau Laub schlicht.
"Was gibt es hier außerdem?" forschte die Hellhäutige weiter, sich in dem vor Pflanzen strotzenden Garten umschauend.
Argwöhnisch das Treiben bei Frau Laub beluchsend, glotzte Herr Plump breitbeinig, die Arme in die Hüften gestemmt, die Lippen schmal zusammengepreßt und tief nach unten ins überquellende Doppelkinn gezogen, über seine Hecke, blieb aber diesmal stimmlos.
Auch die Vögel schwiegen. Die aufmunternde Musik spielten die Kinder mit ihren glockenhellen Stimmen.
"Eure Oma trinkt möglicherweise Melissengeist gegen Herzschwäche oder Migräne, äußerte Frau Laub laut nachdenkend. "Der wurde 1611 von den Karmelitern erprobt. Das ist ein katholischer Bettelorden," fügte sie hinzu und fuhr fort:
"Früher wurde Zitronenmelisse ebenfalls gegen Verdauungsbeschwerden eingesetzt, aber auch gegen Insektenstiche."
Die Kinder zuckten unwillkürlich zusammen bei dem Gedanken an Mücken- oder Bienenstiche, die so fürchterlich brannten und - vor allem - juckten! Und man durfte - schwererweise - nie, nicht kratzen.
Frau Laub ging mit den Kindern zu Herrn Plumps Zaunseite und zeigte ihnen das Bienenkraut, deren unscheinbaren, millionenfachen Blüten eine Lieblingsnektarquelle der nützlichen Sechsbeiner sind. "Honigblume oder Herztrost wird es auch genannt," schmunzelte sie. "Um Schlaflosigkeit zu vertreiben, kann man das Kraut versuchen."
Als sei dies das Stichwort für ihn, trollte sich Herr Plump lustlos lautlos auf seinen Stuhl. Langweilig, diese Frau Laub mit ihrem Gequatsche und den widerlich-aufgeschlossenen jungen Fratzen.
Die Blätter der Zitronenmelisse dufteten erfrischend nach Zitrone, schmeckten aber eher bitter-würzig. Trotzdem werden sie süßen Getränken zugesetzt und sie verzieren als eßbare Dekoration Obstsalate und vor allem Apfeldesserts.
"Kräuter sind die Krönung des Essens. Sie geben in der richtigen Mischung und Dosierung guten Geschmack. Sie lassen mit ihrem Aroma das Wasser im Mund zusammenlaufen. Aaah!" behauptete unwidersprochen die Kräuterkundige.
Die Gruppe wandte sich dem Ysop, einer hübschen Gartenpflanze mit attraktiven dunkelblauen Blüten, zu. Er blühte lebhaft blau. Er roch balsamisch, schmeckte stechend und leicht bitter und erinnerte entfernt an den Geschmack von Rosmarin und Salbei. "Allerdings können von ihm alle oberirdischen Teile verwendet werden, also Stamm, Blätter und Blüten. In unserer Küche hat er keine große Bedeutung als Gewürz; es können aber robuste ländliche Gerichte wie Kartoffel- und Bohnensuppen mit fettem Fleisch damit bekömmlicher werden. Ich füge ihn allerdings einer ganzen Reihe von Gemüsegerichten hinzu: Rosenkohl..."
"Das ist mein Lieblingsgericht," erklärte der Wuschelkopf. "Leider gibt es den nur im Winter," protestierte er.
"Rosenkohl ist ein reines Wintergemüse," bestätigte Frau Laub, um mit ihren weiteren Ysop-verfeinerten Gemüsegerichten fortzufahren: "Blumenkohl und überhaupt Kohl, Artischocken, Sauerampfer und Schwarzwurzel, Bohnen, Fenchel und Lauch sowie Chicoree, Mohrüben und Mais. - Ysop ist mitunter für das Bouquet garni geeignet," fachsimpelte Frau Laub den wissensdurstigen Kindern.
"Was ist ein Bouquet garni?" fragte das blonde Mädchen.
"Wir in Frankreich bezeichnen damit ein Kräuterbündel, das uns das Würzen von Speisen erleichtert," lächelte der arabisch aussehende Junge.
Die Kräuterkundige nickte zustimmend.
"Innerlich kann Ysop, das Josefskraut, chronische Bronchitis, Heuschnupfen, Asthma, eigentlich alle Atemwegserkrankungen heilen," plauderte sie weiter.
"Das werde ich meiner Oma verklickern," ließ der blonde Junge im knallbunten T-Shirt vernehmlich fallen. "Die leidet unter Asthma."
"Für euch ist er vielleicht auch gut," vermutete Frau Laub. "Er hilft äußerlich gegen blaue Flecken."
Sie ließ anschließend die Kinder den fabelhaften, süßlichen Duft der roten Rosen einsaugen. Die Kinder staunten, daß aus den Blütenblättern Rosenöl gewonnen werden kann. Noch größer sperrten sie ihre Augen und Münder auf, als sie hörten, daß für die Gewinnung von zehn Gramm öl mindestens hundert Kilogramm Rosenblüten nötig sind.
"Wozu verarbeitet man denn Rosenöl?" erkundigte sich das blonde, sommersprossige Mädchen und vermutete für die Herstellung von Parfum.
Das hatte Frau Laub nie gehört oder gelesen. Mit diesem sündhaft teuren öl werden pur oder in Wasser geträufelt Haut und Nase verwöhnt. "Aber für die Aromatisierung einiger Lebensmittel ist es geeignet, nachdem aus ihm Rosenwasser hergestellt wurde. Bei uns gibt es gutem Marzipan und einigen Likören das Aroma. Von großer Bedeutung ist es in West- und Zentralasien. Dort wird es zahllosen Süßigkeiten beigemischt," erklärte sie.
Der blonde Junge mit dem indigoblauen Zierstein an der linken Augenbraue erinnerte sich sofort an seinen türkischen Freund, der manchmal süßes, gummiartiges Konfekt mitbrachte. "Locoum heißt es. Das duftet wie Rose," grinste er breit und klatschte laut begeistert, begeistert laut in seine Hände.
"Rosenduft spielt in vielen islamischen Ländern häufig eine kultische Rolle. Die Araber verwenden Rosenduft zur Verbesserung der Raumluft. Um arabischen Reisspeisen eine blumige Note zu verleihen, verwenden die Menschen oftmals Rosenwasser," schilderte Frau Laub.
Der junge Franzose nickte zustimmend. "Bei uns zuhause duftet es nach Rosen."
Die schweigsame Inderin ergriff zum allerersten Mal das Wort und ergänzte:
"Im Norden Indiens gibt es Käse-Süßspeisen: Gulab janum, das sind Käsebällchen, die frittiert und mit Sirup übergossen werden. Oder Ras gulla, in Sirup gekochte Käsebällchen. Die werden vor dem Servieren mit einigen Spritzern Rosenwasser besprenkelt. Lecker!" Sie strahlte.
Kräuter und Gewürze bilden die Seele von Speisen, fadem Einerlei konkurrenzlos überlegen.
Frau Laub nickte leuchtenden Gesichts. Die Kinder juchzten. Wie spannend Pflanzen sein können!
Herrn Plump sträubten sich die Haare. Wie konnte man so viel Unsinn babbeln! überhaupt reichte es doch, wenn man etwas über die deutsche Küche wußte. Er wünschte seine Nachbarin zum Teufel, die so viel Unruhe in den Tag brachte. Er haute mit der Faust knallend auf den Tisch. Und gleich nochmals.
Die beiden Jungen und die beiden Mädchen sowie Frau Laub zuckten zusammen, kümmerten sich aber nicht um den einsamen Krachmacher.
Frau Laub nahm eine rote, halbknospige Rosenblüte zwischen die Finger, betrachtete sie nachdenklich und gab noch etwas Reizvolles preis:
"Die Blüte ist eßbar."
"Die Blüte ist freßbar," echote albern André, zog aber sofort den Kopf ein und schielte ob seiner Frechheit.
Er und Isabel, die deutschen Kinder, deren Namen Frau Laub inzwischen erfahren hatte, schüttelten zweifelnd den Kopf. Dabei klingelten fein Isabels kolossalen Ohrringe. Kshama hieß das indische Mädchen und Karim der arabische Franzose.
"Doch!" beteuerte die Gartenfreundin. "Jedes einzelne Blütenblättchen wird in einer Lösung aus Gummiarabikum und Rosenwasser kandiert. Eine exotische Delikatesse!"
Bei den Kindern keimte Glauben auf.
"Gibt es eßbare Blüten auch von anderen Pflanzen?" suchte André eine Nuß in seinem Kopf zu knacken.
"Unmengen," versprach Frau Laub vergnügt und zählte gleich einige der Pflanzen auf, die sich in ihrem Paradies kuschelten: "Die Blüten des Schleierkrauts, Waldgeißblatts, Stiefmütterchens, Duftveilchens, Majorans und die strahlend blauen Sternchenblüten des Borretsch. Auch die Blüten der Herbstaster, Wildrose, die bunten der Gartenwicke, die dekorativen, strahlend gelben bis roten Blüten der Kapuzinerkresse sowie die der reizvollen Taglilien- und Gladiolenblüten. Außerdem die Lavendelblüten und die goldgelben Köpfchen der Ringelblume (Calendula). Zusammen geben sie ein sprühendes Feuerwerk der Farben." Jede Pflanze zeigte sie den aufmerksam lauschenden Kindern.
Frau Laub besuchte noch mit den Vieren die meisten Pflanzen, die vorn am Zaun standen. Die Kinder lernten zusätzlich zu den inzwischen Bekannten den immergrünen Buchsbaum mit seinen dunklen, zierlichen Blättchen und die piepkleine Tripmadam mit ihren graugrünen, weichen, unter dem Zaun hervorlugenden Nadeln kennen. Außerdem bestaunten sie die Hundsrose, eine Wildrose mit ihren dekorativen, leuchtend roten Hagebutten. Auch die überaus stachelige Bibernellrose mit ihren schwarzen Früchtchen, die Vögel im Winter abernteten. Die trockenheitsliebende Fette Henne mit ihren dickfleischigen Blättern machte sich bereit, ihre rosafarbenen Blütendolden zu öffnen. Ungeduldig darauf wartend, krabbelte eine Hummel darüber. Sie mußte sich vorerst mit den lilafarbenen Blüten der Astern vergnügen. Die Zaubernuß blüht im Winter, im Februar, wenn die übrigen Pflanzen ruhen, flammend rot-gelb. Am Zaun rankte sich die weiß-rosa blühende Ackerwinde empor.
Frau Laub ließ die Kinderhände über die Blätter verschiedener Kräuter streichen. Die saftig grünen Nadeln des Rosmarin faßten sich kühl an. Ebenso die Blätter der roten Rose. Und der Oregano. Dagegen fühlten sich die flaumigen Blätter des Salbei und die nicht piekenden Nadeln des Lavendels warm an, als würden sie die Sonne speichern. Die weichen, graugrünen Nadelbüschel der Tripmadam ebenso wie die lederartig harten hellgrünen Blätter der Zitronenmelisse schienen weder kühl noch warm, sondern neutral temperiert.
Isabel, André, Karim und Kshama bemerkten, daß sie in Nullkommanichts massenhaft Pflanzen, also mehr als für den Projekttag nötig, kennengelernt hatten. Sie kannten nun fast alle direkt hinterm Zaun stehenden. Sie waren erpicht auf mehr, mehr, mehr. Aber ihnen schwirrte der Kopf. Deshalb verabschiedeten sie sich und zufrieden und glücklich bedankten sich:
"Sie haben einen richtigen Zaubergarten."
Zum Abschied steckte Frau Laub Isabel und Kshama je eine rote Rose ins Haar.
Herr Plump fand, daß alles Unfug war, was die Kinder gelernt hatten. Und überhaupt! Daß ein Lehrer auf die Idee kommen konnte, die lauten, nervenden Kinder zu diesem Garten zu schicken, zeigte glasklar, daß dieser nicht ganz dicht und bar jeder Vernunft war.
Frau Laub bewunderte André, Isabel, Karim und Kshama, die ihr bereits ans Herz gewachsen waren: "Wie begeistert die Kinder lernen!" Auch einem weiteren Kindergrüppchen quoll die Wißbegierde aus den Poren und strömte wie ein verbindendes Flußband mitten in Frau Laubs Herz und Hirn. Sie sprudelte vor interessanten Informationen über und konnte den Unersättlichen beim Lüften von Geheimnissen über ihre Gartenkräuter wie Baldrian, Taubnessel, Schafgarbe, Beifuß und Pfefferminze aus der Patsche der Unkenntnis helfen.
Herr Plump wünschte das gesamte Pack zum Teufel, die nervensägenden Blagen genauso wie Frau Laub mit ihrem Gelaber. Wer so viel wissen wollte oder wußte, ohne Professor zu sein, bei dem tickte es nicht richtig im Kopf.
"Was mir die Kinder alles entlocken!" frohlockte dagegen seine Nachbarin.
Allerdings mußte sie zu ihrem schwersten Bedauern heute um elf Uhr ihren Garten verlassen; denn sie hatte privat einen unaufschiebbaren Termin wahrzunehmen. Gern hätte sie mit den folgenden Grüppchen weitere anregende Gespräche über bisher nicht erwähnte unbekannte-bekannte, bekannte-unbekannte Kräuter und Pflanzen in ihrem Garten geführt.
Völlig unbeachtet waren die botanischen Aspekte geblieben. Waren die Blätter gezähnt- oder glattrandig, wie waren sie geadert, wie setzten sie am Stiel an, wie standen sie zueinander, wo wuchsen die Blüten? Die Stiele selbst waren auch beachtenswert; weich oder hart, vielleicht sogar verholzt und knackten? Solche und weitere Fragen fielen ihr ein.
"Schnittlauch, Zitronenmelisse, Pimpinelle und Schafgarbe haben ihre Wurzeln seit eh und je in Europa. Man muß aber nicht annehmen, daß alle besprochenen Pflanzen bei uns heimisch waren," sinnierte Gertrud. "Im Gegenteil. Eine Reihe davon sind Einwanderer. Nicht nur Lavendel, Rosmarin und Salbei stammen aus dem Mittelmeerraum. Nein. Auch Liebstöckl, Petersilie, Thymian und die Ringelblume. Borretsch, das Gurkenkraut, stammt aus dem Mittleren Osten. Dill und Oregano sind Kosmopoliten. Sie fühlten sich schon immer gleichermaßen in Europa und Asien zuhause. Der Waldmeister übertrifft sie noch. Er fühlt sich darüberhinaus in Nordafrika wohl."
Die Kräuter im Volksglauben! Die Kräuter im Volksglauben gaben reizvolle, aber auch unheimliche Geschichten her. Beispielsweise eine vom Salbei: Wird ein Salbeiblatt mit einem Zauberspruch in Mist gelegt, so verwandelt es sich in einen Vogel. Dessen Blut kann einen Menschen für lange Zeit bewußtlos machen. Oder vom Rosmarin: Er kann von Trauzeugen getragen werden. Nach der Hochzeit wird er von den Brautleuten in die Erde gesteckt. Wenn er Wurzeln schlägt, wird die Ehe glücklich. Oder vom Lavendel: Er hilft gegen den bösen Blick.
Frau Laub sog nochmals seinen köstlichen Duft ein, den sogar die Samenstände und die Blätter großzügig verschenkten.
"Schade. Es geht nicht alles zu erzählen," bedauerte Frau Laub. Sie erinnerte sich an die vor Eifer glühenden und glücklichen Gesichter der Kinder. Das stimmte sie himmelherrgottfroh.
Herr Plump registrierte hocherfreut, daß diese Frau endlich verduftete. Erneut prüfte er die Rattenfalle. Dann wibbelte er selbst nach Hause.


Vierzehn Tage später nahm er die Falle weg, ohne - zu seiner grenzenlosen Enttäuschung - eine Ratte gefunden zu haben. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, dem Vorstand und allen Gartenfreunden, die er vor seinem Gartentor abfangen konnte, weiszumachen, daß er eine Ratte aus Frau Laubs Garten gefangen hatte. Hier handelte es sich nicht um eine Luftnummer, sondern um eine todernste Gefahr für die Gartenfreundin. Jeder reagierte ängstlich oder entrüstet. Ein solches Nest mußte man ausheben; denn es stellte eine Gesundheitsgefahr par excellence dar!
Angesichts seiner gelungenen List schwankte Herr Plump gickernd mit hocherhobener Nase von einem Erfolg zum nächsten. Jedermann wünschte - ohne es zu ahnen - hinters Licht geführt zu werden. Die Leute hatten keine Ahnung, aber sie wußten alles. Und das war die Grundlage ihrer Handlungen und Urteile.
Es dauerte nicht lange, da bekam Frau Laub einen Brief des Gartenvereins. Was könnte der im Frühherbst schreiben?
Frau Laub wußte nicht warum, aber sie ahnte nichts Gutes. Hastig öffnete sie den Umschlag.
ABMAHNUNG.
Ihr Garten sei vermüllt, und Ratten wurden darin gesichtet. Wenn nicht innerhalb kürzester Zeit Abhilfe geschaffen werden würde, würde die Kündigung eingeleitet werden.
Gallebittere Wermutstropfen verfinsterten kohlrabenschwarz ihr wie eine goldene Sonne leuchtendes Gartenglück. Die Gartenfreundin schluckte. Ein dicker Kloß verschnürte ihr die Kehle.
Wie vom Donner gerührt, setzte sich Frau Laub. Ihr Gesicht wurde aschfahl. Alle Kraft wich aus ihren Gliedern. Wenn sie ihren Garten verlor, käme das einem Todesstoß gleich. Ihr Herz, ihre Seele lagen darin.
"Das kann doch wohl nicht wahr sein," murmelte sie tonlos.
Frau Laub packte die Verzweiflung. Was sollte sie aufräumen?
Dann die Wut: "Dieser Herr Plump! Das hat er sauber eingefädelt." Den Gartennachbarn verdächtigte sie als Brandstifter; denn er hatte früher das Gerücht in die Welt gesetzt, daß er junge Ratten in ihrem Garten beim Spielen beobachtet hätte. - Frau Laub fühlte sich als Prellbock seiner eigenen Unzufriedenheit und als Opfer seiner Machtgelüste.
Sie grübelte über Engstirnigkeit, Vorurteil und mangelnde Toleranz, wie man ihnen überall in unserer Gesellschaft begegnen kann:
sei es als neuer Landsmann, "Fremder" in einem Dorf,
ein Nichttrinker unter Säufern,
ein Nichtraucher unter Rauchern,
sei es in einem Betrieb jemand, der friedfertig nur Augen und Ohren für seine Arbeit hat und sie fleißig verrichtet.
Gertruds Garten Eden ließ sich auf viele Gruppen übertragen. Unterhaltsamer Spießrutenlauf für alle irgendwie auffallenden andersartigen Ohnmächtigen ist angesagt. Aber was wird gewünscht?
Der Maßstab ist das "übliche". Die Mehrheit der stumpfen Menschenherde folgt wie Schafe einem Leitbild, einem Hammel und niemand darf aus der Herde ausscheiden. Dann kommt ein Hund und versucht, es zurückzuholen. Wenn der Hirte nicht klug regiert, machen Hund und Hammel, was sie wollen.
Die Gedanken begannen wieder von vorn. Sie drehten sich im Kreis. Sie fauchten und pochten. Sie fuhren ruckelnd Karussel. Frau Laub grübelte.
Nur eins wußte sie genau: Ihr Paradies bleibt bestehen!!!
Aber wie???
Frau Laub war sich sicher, sie wußte es genau, daß ihr Gartenfreund log.
Im Geiste sah sie ihren Widersacher Herrn Plump mit seinen Kumpanen schadenfroh und höhnisch feixen. "Hihihi! Hohoho!" Sie hatten zu einem gewaltigen Schlag ausgeholt, und ihre Rechnung schien aufzugehen. Sie rieben sich triumphierend die Hände. Sie wähnten sich sicher, diese nichtsnutze und permanent Ärgernis erregende Einzelgängerin in der Kleingartenkultur endlich loszuwerden.
Drei Kreuze!!!
Doch sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Frau Laub, die so viel in ihrem Miniaturland den Mitlebewesen einschließlich aller Menschen gab, schöpfte Kraft aus ihrem Garten.
Sie faßte in ihren Holzkompost, dessen sperrige Holzteilchen aus vielen Millionen Zweiglein, die bei ihr blutenden Herzens ihr Leben lassen mußten, um der Gartenordnung zu genügen. Zum Beispiel die Weide, die sich aus irgendeinem Samen entwickelt hatte, aber nicht in diesem Gartengelände gedeihen durfte, weil sie im Erwachsenenstadium fünf Meter Baumhöhe überschritt. Samtweiche Erde war sie momentan. Nun streichelte die neue Erde beschwichtigend Frau Laubs Hände.
Knicksend und zitternd bewegte sich der rote Schwanz eines schwarzgesichtigen und rotbrüstigen Gartenrotschwanzes. Schnalzend ertönte sein Lockruf: "Fuid teck teck teck..."
Gartenfreunde, die auf ihrer Seite standen, naturliebende und tolerante Menschen, machten ihr Mut: "Dein Garten ist ordentlich. - Man sieht, daß er bewirtschaftet wird. - Du schaffst es!"
Gertruds Gedanken, die sie tief in den Boden gedrückt hatten, klärten sich auf, als ob steinschwere, rabenschwarze Wolken aufrissen und den lichtblauen Himmel mit goldener Sonne freigaben. Sie faßte sich. Sie schmiedete einen Plan. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.


Sie besorgte mit Einverständnis des Vorstands einen Rattenfänger. Der bestätigte Frau Laub, daß sie Inhaberin einer rattenfreien Zone war, was er dem Vorstand gegenüber attestieren wird. Er fügte hinzu, daß Menschen leichter vermuten, daß Ratten sich in einem Garten aufhalten, wo das Gras hochwächst und der etwas wild aussieht, als in "ordentlichen". Er seufzte, daß er in diesen Fällen häufig umsonst gerufen wurde.
Der Vorstand gestand ihr zu, daß zwar Ratten nicht festgestellt werden konnten, beanstandete aber, daß der Garten nicht gepflegt aussähe.
"Wenn nicht jedes fremde Hälmchen erbarmungslos gekillt wird, dann sieht ein Garten ungepflegt aus," dachte Frau Laub betrübt, konzentrierte sich aber gleich wieder auf die Vorwürfe.
Frau Laub machte das Interesse vieler Besucher an ihrem Garten geltend. Sie berichtete von den fremden Leuten, die ihren Garten besichtigen wollten und dem Projekttag der Kinder. Das ehrte Frau Laub.
Als sie die vielen Nützlingsheime und ihre Bewohner darstellte, kam der Vorstand zu der überzeugung, daß die Angeklagte nicht ihren Garten verwahrlosen ließ, sondern ganz bewußt eine der Natur angepaßte Ordnung darin schuf.
Und nur mit dieser konnte der Naturschutz im Garten vorangetrieben werden, ein dringliches Anliegen der Kolonie.
Heim und Garten sind zwei Paar Schuhe. Zuhause sollte eine andere Ordnung herrschen als in einer grünen Idylle. Ihr Garten fiel zwar aus dem Rahmen - und doch bewegte er sich mitten drin.
Das überzeugte das gestrenge, aber faire Gericht. Der Vorstand kam sogar auf die Idee, daß im Urlaub gerade wilde Landstriche das Auge erfreuen. Warum nicht ein Stück Ferien in den eigenen Garten holen?
Bei der Rückkehr von dieser Unterredung in ihren Garten begrüßte sie der Gartenrotschwanz mit seinem Gesang: Ein hochgezogener Ton, dem tiefer liegenden Laute wie "ü träträ" folgten. Neben die wohlklingenden Töne mischte der Vogel rauhe.


Frau Laub hatte mächtige Freunde gewonnen. Es blieb nicht bei der Sonntagsrede, sondern es folgte tatkräftige Wochenarbeit. Der Vorstand packte das übel bei der Wurzel. Es sollte eine Wende in der Bewirtschaftung der Gärten einsetzen.
Die Spatzen tschilpten laut: "Tetetetet!" Sie, die ehemaligen Allerweltsvögel, benötigten mehr Naturschutz, um zu überleben.
Einige Gartenfreunde änderten vorsichtig ihre Gewohnheiten und setzten neue Prioritäten. Sie legten Wildblumenwiesen an und freuten sich über die Schmetterlinge, die über die bunte Blütenpracht gaukelten. Sie richteten besondere Ecken in ihren Parzellen ein, die sie der Natur überließen. Kleine Teiche belebten ihre Gärten. über ihnen schwirrten prächtig glänzende Libellen. Bronzefarbene wie frisch poliert, schillernd smaragdgrüne und glänzend königsblaue. Das Hochgefühl der Teichbesitzer. Steingärten gaben den Parzellen ein exklusives Flair. Wie auf einer Sonnenliege räkelten sich Salamander auf den warmen Felslingen. Kräuterspiralen wie in Klostergärten gestatteten die neben Petersilie, Schnittlauch und Dill vergrößerte Wunder-Würzpflanzenkollektion das Schwelgen in kulinarischen Kräuterexperimenten und ließen menschliche Gaumen Feste feiern. Die meisten Gartenbesitzer vervielfachten nach eigener Façon die Attraktivität ihres Stückchen Lands.
Diese Gärten siegten, das ganze Gartengelände gewann. Die neuen Anlagen zierte es maßlos. Die Menschen warfen sich wie Helden in die Brust. Die Natur gewann auch. Unzählige Lebewesen fanden dringend benötigte, neue Gaststätten und Herbergen.
Herr Plump und seine weniger werdenden Kumpel schlossen sich von solchem Tun aus. Sie wollten, daß alles so blieb, wie es war. Ein kurz geschnittener Rasen war genug. Herr Plump geriet in die Minderheit und wollte möglichst nicht beachtet werden. Den Niegelnagelneu-Naturnah-Gärtnern gegenüber verhielt er sich nun anbiedernd freundlich, um seine Gewohnheiten beibehalten zu können.
Inzwischen erkundigten sich nicht nur Fremde, sondern auch Gartenfreunde bei Gertrud Laub, ob sie ihren Garten zwecks Anregungen besichtigen könnten. Die Naturliebhaberin führte sie bereitwillig herum und machte sie mit der Vielfalt ihres kleinen, grandiosen Paradieses vertraut.

Angelika Paul




Anmerkung: Was ist Unkraut?: Definition

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Inhalt Die Grenze.
Eine Berlin-Erinnerung
Karli und Marli im berühmten Wald. Geliebter Kleingarten... oder: Einfalt - Vielfalt Die Schlangenapotheke in Berlin Der Wind Die Reise in den unbekannten Dschungel Der Wettkampf in der Höhle
Naturnah in Berlin leben De kracht van de natuur De zee Een bloem Houden van? (Berlijn) Een traan van geluk Links Anhang

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